Ein Grenzgänger ist eine Person mit Wohnsitz im Ansässigkeitsstaat, die regelmässig (zumeist täglich) vom eigenen Wohnsitz zum Arbeitsort im Tätigkeitsstaat reist – und wieder zurück. Drei realistische Beispiele zeigen, wie sich unterschiedliches Pendlerverhalten auf die Besteuerung auswirken.
Grenzüberschreitender Mitarbeitereinsatz im Verhältnis Deutschland-Schweiz (2/2)
Das Besteuerungsrecht für Grenzgänger steht nach den Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) dem Wohnsitzstaat zu. Dieses Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates entfällt jedoch bei einer berufsbedingten Nichtrückkehr an den Wohnsitz. Die Anzahl der maximalen Nichtrückkehrertage kann mit einer einfachen Formel berechnet werden.
1. Beispiel: Der in Konstanz lebende Herr Bodensee bezieht ein Geschäftsführergehalt für seine Teilzeittätigkeit als Geschäftsführer der Ütli GmbH in Zürich. An zwei von fünf Arbeitstagen leitet er die GmbH, wie es vertraglich vereinbart ist. Mehr Arbeitszeit lässt auch sein Arbeitsvisum nicht zu. Die übrige Zeit ist er Privatier in Konstanz. Herr Bodensee fährt jeden Tag von Konstanz nach Zürich und zurück.
Lösung: Das in der Schweiz bezogene Gehalt ist zu 4,5 Prozent des Bruttogehalts in der Schweiz steuerpflichtig. Gleichzeitig ist es in Deutschland zu versteuern. Die einbehaltene Steuer in der Schweiz wird in Deutschland angerechnet.
2. Beispiel: Herr Bodensee verbringt im Jahr vierzig Nächte in einem Apartment in Zürich, das er gemietet hat, um in Zürich zu übernachten. Dies nützt er, wenn die Arbeitsbelastung an dem Arbeitstag zu hoch ist und er nicht mehr nach Konstanz fahren kann. Die branchentypische betriebsübliche Arbeitszeit beträgt zweihundertfünfzig Tage im Jahr.
Lösung: Da Herr Bodensee mit seinen vierzig Übernachtungen die Grenze von fünfundzwanzig Nichtrückkehrertagen* überschreitet, ist er kein Grenzgänger. Dadurch ist sein Gehalt ausschliesslich in der Schweiz nach Artikel 15 Absatz 4 DBA steuerpflichtig. Das Gehalt wird allerdings in Deutschland unter Progressionsvorbehalt bei der Ermittlung des Steuersatzes des steuerpflichtigen deutschen Einkommens berücksichtigt (Progressionsvorbehalt).
*Berechnung der Nichtrückkehrertage im konkreten Beispiel: 2 vereinbarte Arbeitstage pro Woche * 52 Wochen / 250 übliche Arbeitstage im Jahr * 60 Nichtrückkehrertage im Jahr
In der Praxis führt immer wieder die Tatsache zum Entsetzen, dass sich Deutschland – anders als in den anderen Doppelbesteuerungsabkommen – im vorliegenden DBA ein besonderes Besteuerungsrecht in Artikel 4 Absatz 3 DBA vorbehalten hat. Dies gilt dann, wenn eine ständige Wohnstätte in Deutschland, also Schlüsselgewalt über eine Wohnung im Inland, besteht.
Gleiches trifft zu, wenn zwar die Ansässigkeit in der Schweiz vorliegt, aber der Steuerpflichtige einen gewöhnlichen Aufenthalt von mehr als sechs Monaten im Jahr in Deutschland hat. Nach dieser Regel kann Deutschland dann die im Regelfall niedrigere Besteuerung in der Schweiz unter Anrechnung der Schweizer Steuer auf die höhere deutsche Steuer hochschleusen – insofern ihm auch bei einer Ansässigkeit in Deutschland das Besteuerungsrecht zustände (sogenannte «überdachende Besteuerung»). Der Artikel 4 Absatz 3 DBA fingiert eine (zusätzliche) Ansässigkeit in Deutschland und ist eine einseitig in Deutschland begünstigende Norm.
Beispiel: Der angestellte Vertriebschef Meier lebt mit seiner Familie in der Schweiz und arbeitet vorwiegend in der Schweiz. Daneben unterhält er eine ständige Wohnstätte in Gestalt eines geerbten, möblierten Hauses in Deutschland. Um den deutschen Vertrieb aufzubauen nutzt er das Haus gelegentlich an den Wochenenden und an sechzig Arbeitstagen im Jahr für seinen Schweizer Arbeitgeber. Meier ist kein leitender Angestellter seines Arbeitgebers.
Lösung: Die Schweiz besteuert hundert Prozent des Gehalts nach Artikel 15 Absatz 1 DBA. 60/220 seines in der Schweiz erzielten Gehalts ist zusätzlich in Deutschland steuerpflichtig – nach Artikel 4 Absatz 3 DBA. Die Schweizer Steuer wird in Deutschland auf diesen Gehaltsbestandteil angerechnet.
Zwar kann grundsätzlich gegenüber der deutschen Finanzverwaltung argumentiert werden, dass die Wohnung in Stuttgart nach Charakter und Lage ausschliesslich Erholungs-, Kur-, Studien- oder Sportzwecken dient und nachweislich nur gelegentlich genutzt wird. Diese Argumentation ist allerdings nicht mehr zulässig, wenn die Wohnung zur Wahrnehmung wirtschaftlicher oder beruflicher Interessen verwendet wird. Unangenehm wird die überdachende Besteuerung vor allem bei nicht freigestellten originären Schweizer Einkünften – wie Kapitalerträgen (vor allem Veräusserungsgewinne) und Schweizer Immobilieneinkünften, die einer zusätzlichen Besteuerung unter Anrechnung der Schweizer Steuer in Deutschland unterworfen werden können. Ausserdem können Drittstaateneinkünfte, die unter Umständen in der Schweiz steuerfrei oder tiefer besteuert werden, in Deutschland hoch besteuert werden.
Schliesslich hat sich Deutschland einseitig in Artikel 4 Absatz 4 DBA die sogenannte «nachlaufende Besteuerung» vorbehalten. Nach dieser bleiben nicht-schweizerische Staatsangehörige im Jahre des Umzugs in die Schweiz in Deutschland steuerpflichtig – unter Aufgabe der deutschen Ansässigkeit und in den folgenden fünf Jahren mit ihren aus Deutschland stammenden Einkünften. Dies trifft dann zu, wenn sie vor dem Wegzug in Deutschland mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig waren. Deutschland rechnet die Schweizer Steuer an.
Die nachlaufende Besteuerung ist nicht anzuwenden, wenn Nicht-Schweizer zur Ausübung einer «echten» unselbständigen Tätigkeit bei einem Arbeitgeber – an dem sie weder unmittelbar noch mittelbar durch Beteiligung oder auf andere Weise «wirtschaftlich wesentlich interessiert» sind – oder zur Heirat in die Schweiz umziehen.
Beispiel: Der schon immer in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Vermögensverwalter Schmidt mit deutscher Staatsangehörigkeit, der in Konstanz für einen deutschen Vermögensverwalter arbeitet, zieht 2016 in das benachbarte Kreuzlingen, Schweiz. Er wird zum Grenzgänger. Auch ist er zu 25 Prozent an seinem deutschen Arbeitgeber in der Rechtsform einer GmbH beteiligt.
Lösung: Die Schweiz besteuert das Gehalt nach Artikel 15a Absatz 1 DBA und stellt zwanzig Prozent des Bruttogehalts frei. Deutschland darf das Gehalt – welches aus Deutschland stammt, – nach Artikel 4 Absatz 4 DBA für das Jahr des Wegzugs 2016 und fünf weitere Jahre bis einschliesslich 2021 besteuern. Da Schmidt wesentlich an seinem Arbeitgeber wirtschaftlich beteiligt ist, ist die nachlaufende Besteuerung hier zulässig. Die Schweizer Steuer wird auf die deutsche Steuer angerechnet. Allenfalls greift hier auch die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG für die Anteile an dem deutschen Arbeitgeber.
Nicht behandelt wurden hier die sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen bei einer Entsendung ins Ausland – wie etwa, an welchen Sozialversicherungsträger ein Beitrag abgeführt werden muss oder welche Versicherungssumme der Arbeitnehmerim Falle eines Unfalls im Ausland erhält. Die für den Arbeitgeber aus haftungsrechtlichen Gründen und für den Arbeitnehmer aus Vorsorgegründen mindestens genauso bedeutsamen Fragen müssen durch verbindliche Abklärungen im Vorfeld eines Auslandseinsatzes mit den zuständigen Sozialversicherungsbehörden getroffen werden. Sozialversicherungsrechtliche Einordnungen von Entsendungen weichen regelmässig von der steuerlichen Behandlung ab.
>> zum 1. Teil der Artikelreihe «Grenzüberschreitender Mitarbeitereinsatz im Verhältnis Deutschland-Schweiz»
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