Verschärfung der Praxis
Das Schweizerische Bundesgericht hat in einem Leitentscheid vom 16. Oktober 2014 (BGE 140 III 533) betreffend den Cash Pool der früheren Swissair-Gruppe ein Urteil gefällt. Dieses hat die bestehende Handlungsfreiheit der Unternehmen bei der Gewährung von upstream oder crossstream Darlehen stark eingeschränkt und zu erheblichen Unsicherheiten in der Praxis geführt – sowie bei anderen Formen der Konzernfinanzierung, inklusive Cash Pooling.
Die vormalige schweizerische TreuhandKammer – heute «EXPERTsuisse» – hat in weiter Auslegung dieses Bundesgerichtsentscheids ihre Richtlinien zur Beurteilung von konzerninternen Forderungen, Cash Pooling und Dividenden überarbeitet und entsprechende Empfehlungen herausgegeben. Damit hat sich die Ausgangslage in der Folge weiter verschärft.
Ungeachtet der geübten Kritik müssen sich die Schweizer Unternehmen – zumindest einstweilen – mit den veränderten Rahmenbedingungen arrangieren. Insbesondere auf Stufe Verwaltungsrat und CFO sollten die praktischen Konsequenzen beachtet werden – in Bezug auf das Gewähren von Aktionärs- und Konzerndarlehen sowie deren potentielle Implikationen auf die Ausschüttung von Dividenden.
Fragestellung des Bundesgerichtsentscheids
Im Entscheid des Bundesgerichts ging es um die Frage, ob die Revisionsstelle eine haftungsbegründende Pflichtverletzung begangen hat, indem sie – im Zusammenhang mit der Prüfung der Jahresrechnung – die Gesetzmässigkeit und Statutenkonformität eines Dividendenantrags des Verwaltungsrats bestätigte. Das Bundesgericht bejahte eine solche Haftung. Ihre Begründung: Die beantragte Dividende hätte aufgrund der im Rahmen des Cash Pool gewährten, nicht marktkonformen Konzerndarlehen reduziert werden müssen. Infolgedessen hätte die Revisionsstelle deren Rechtmässigkeit nicht bestätigen dürfen.
Welches Kapital fällt unter den aktienrechtlichen Kapitalschutz?
Der aktienrechtliche Kapitalschutz soll sicherstellen, dass eine Gesellschaft stets über Eigenkapital verfügt – mindestens im Umfang des Grundkapitals und der gesetzlichen Reserven. Das Verbot der Einlagenrückgewähr (gemäss Art. 680 Abs. 2 OR) untersagt es den Gesellschaften, Ausschüttungen aus diesem geschützten Kapital an die Aktionäre vorzunehmen.
Das Bundesgericht hat nun in seinem Entscheid die langjährige Diskussion über das Verhältnis zwischen Kapitalschutz und Agio beendet: Das Agio fällt nicht unter den Kapitalschutz und ist ganz normal als Teil der allgemeinen Reserve zu behandeln. Entsprechend kann das Agio als Dividende ausgeschüttet werden – sofern die allgemeinen Voraussetzungen für eine Dividendenausschüttung erfüllt sind.
Auswirkungen von nicht marktkonformen Aktionärs- und Konzerndarlehen auf das aktienrechtlich geschützte Kapital
Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid festgehalten, dass Aktionärs- oder Konzerndarlehen kapitalschutzrechtlich als Ausschüttung qualifizieren – sofern sie nicht zu Markt- oder Drittbedingungen gewährt wurden. In der Konsequenz bedeutet dies:
- das freie Eigenkapital ist im Fall von nicht marktkonformen Aktionärs- oder Konzerndarlehen im Umfang des vollen Darlehensbetrages faktisch gesperrt.
- das im Hinblick auf das Verbot der Einlagerückgewähr ist entsprechend reduziert – sowie das für Dividendenausschüttungen im Rahmen der Reserveschutzbestimmungen zur Verfügung stehende ungebundene Kapital.
Gemäss Bundesgericht ist es im Übrigen nicht erforderlich, dass das gesperrte freie Eigenkapital in einer separaten Spezialreserve ausgewiesen wird.
Dividendenausschüttungen, welche diese faktische Sperrquote tangieren, sind gemäss dem Bundesgerichtsentscheid unzulässig. Diese dürften im Lichte der Empfehlungen von EXPERTsuisse dazu führen, dass die Revisionsstelle die Rechtmässigkeit eines solchen Antrags des Verwaltungsrats verneint und im Revisionsbericht darauf hinweist. Die Angemessenheit dieser Rechtsfolgen ist im Lichte der vergleichbaren Situation von teilliberierten Aktien – welche keinerlei Einschränkungen in Bezug auf die Dividendenfähigkeit unterliegen – zumindest fragwürdig.
Überdies ist darauf hinzuweisen, dass entgegen der Ansicht von EXPERTsuisse ein nicht marktkonformes Konzerndarlehen nicht per se das Verbot der Einlagenrückgewähr verletzt – was die Nichtigkeit zur Folge hätte. Ein solcher Verstoss liegt nur und erst dann vor, wenn die Darlehensnehmerin das Darlehen nicht (mehr) zurückzahlen will oder kann. Das Aktionärs- oder Konzerndarlehen ist damit fiktiv beziehungsweise wertlos.
Ermittlung des freien Eigenkapitals – Stichtagsbetrachtung
Massgebender Zeitpunkt für die Bestimmung ist gemäss Bundesgericht der Bilanzstichtag – zum Beispiel:
- ob beziehungsweise in welchem Umfang nicht marktkonforme Aktionärs- oder Konzerndarlehen einen Eingriff in das geschützte Kapital darstellen.
- in welchem Betrag eine faktische Sperrung des freien Eigenkapitals vorliegt.
Nachträgliche Entwicklungen sollen unbeachtlich sein. Dies ist jedoch abzulehnen. Denn es ist fragwürdig, weshalb sogenannte werterhellende Ereignisse nach dem Bilanzstichtag – namentlich die Rückzahlung solcher Darlehen – nicht berücksichtigt werden sollen. Demgegenüber sind gemäss EXPERTsuisse negative Tatsachen nach dem Bilanzstichtag zu beachten.
Die statische Betrachtungsweise des Bundesgerichts durch Rückzahlung nicht marktkonformer Konzerndarlehen kurz vor dem Bilanzstichtag auszuhebeln – um sie
unmittelbar danach wieder neu auszuzahlen – dürfte als Umgehung qualifizieren. Diese vermeintlich kreative Idee könnte dann mit entsprechenden Haftungsrisiken für Verwaltungsrat und CFO verbunden sein.
Beurteilungskriterien für die Marktkonformität
Der Entscheid des Bundesgerichts bleibt unklar in Bezug auf die eigentliche Gretchenfrage, wie die Marktkonformität zu bestimmen ist. Diese wurde im Entscheid relativ lapidar als nicht gegeben erachtet – da die Konzerndarlehen nicht besichert waren und sich die Gläubigerin nach Ansicht des Gerichts nicht mit der Bonität der Schuldnerin befasst hatte.
Demgegenüber hat EXPERTsuisse einen ausführlichen Kriterienkatalog aufgestellt. Dieser läuft bei strenger Anwendung darauf hinaus, dass die Marktkonformität von Aktionärs- und Konzerndarlehen – sowie insbesondere von Cash Pools – in vielen Fällen nicht mehr gegeben ist. Wohl wird eine Gesamtbeurteilung und Gewichtung der verschiedenen Elemente im Einzelfall postuliert. Die einzelnen unter den folgenden Aspekten zu beachtenden Elemente schiessen jedoch in ihrer Absolutheit über das Ziel hinaus.
- (i) Formalia
- (ii) Darlehenskonditionen
- (iii) Bonitätsprüfung
- (iv) Risikoüberlegungen
Auch wenn das Bundesgericht im konkreten Fall eine Besicherung verlangt hat, bedeutet dies nicht, dass Konzerndarlehen zwingend zu besichern sind. Auch ein unbesichertes Darlehen kann at arm’s length sein – wenn eine Gesellschaft von einem Dritten, zum Beispiel einer Bank, ein unbesichertes Darlehen erhalten würde. Sodann kann auch durch eine Garantie der Muttergesellschaft der Drittvergleich erfüllt werden. Schliesslich muss es genügen, wenn die Darlehensnehmerin das Darlehen zu den gleichen Konditionen auch von einem unabhängigen Dritten erhalten hätte. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob der Darlehensgeber das fragliche Darlehen auch einem Dritten gewährt hätte.
Lösungsansätze in der Praxis bei nicht marktkonformen Aktionärs- und Konzerndarlehen
Aus dem Entscheid des Bundesgerichts kann gefolgert werden, dass eine Dividendenausschüttung bei Vorliegen von nicht marktkonformen Aktionärs- und Konzerndarlehen dann zulässig ist, wenn eine doppelte Verwendung des freien Eigenkapitals ausgeschlossen werden kann. Dies kann dadurch erreicht werden, indem ein spezifischer Dividendenbeschluss gefasst wird.
Daher müssen folgendes möglich sein:
- Ausschüttung der nicht marktkonformen Aktionärs- und Konzerndarlehen in Form einer Substanzdividende – trotz faktischer Sperrquote und sofern ausreichend ausschüttbare Reserven vorhanden sind.
- Verrechnung mit dem Aktionärsdarlehen bei Bestehen einer Darlehensforderung gegenüber dem Aktionär.
- Dividendenbeschluss unter der aufschiebenden Bedingung der Darlehensrückzahlung vor Dividendenausschüttung
- Ausrichten von Akontodividenden im Rahmen des freien Eigenkapitals in den genannten Fällen.
Fazit
Die Aussagen im Bundesgerichtsurteil dürfen nicht losgelöst vom konkreten Fall zu einem allgemein verbindlichen Standard gemacht werden. Leider suggerieren dies die Empfehlungen von EXPERTsuisse. Die Rechtssicherheit bei der Gewährung von Aktionärs- und Konzerndarlehen hat jedoch erheblich gelitten und viele Fragen bleiben offen. Als CFO oder Verwaltungsrat ist man gut beraten, wenn man:
- auf die strikte Einhaltung der Marktkonformität achtet.
- nicht marktkonforme Aktionärs- und Konzerndarlehen maximal im Umfang des freien Eigenkapitals zu gewährt.
- nicht benötigte Liquidität an Stelle der Einräumung von Aktionärs- oder Konzerndarlehen als Dividende auszuschüttet.
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