Im globalen Warenhandel werden Lieferstrukturen immer mehr hinsichtlich deren Effizienz optimiert. So werden Waren von in- wie auch ausländischen Lieferanten oft direkt vom Ausland zum Kunden ins Inland geliefert, insbesondere bei Reihenliefergeschäften. Gleiches gilt auch bei Waren, die im Inland unter Zollüberwachung stehen.1 Diese Konstellationen führen in der Praxis immer wieder zu Unklarheiten, welche Lieferung wo und wie zu besteuern ist, wer bei der Einfuhr als Importeur auftreten muss und welche Lieferbedingungen zur korrekten Anwendung gelangen. Eine mangelhafte Handhabung bewirkt MWST- und Reputationsrisiken bei den Lieferanten. Der vorliegende Artikel zeigt aus Schweizer MWST-Sicht auf, wie dem durch Anwendung der Unterstellungserklärung Ausland bzw. Inland entgegengewirkt werden kann und welche Formalien damit verbunden sind.
Anwendungsbereich und Stolpersteine bei der Unterstellungserklärung Ausland und Inland
Versandlieferungen gelten an dem Ort als erbracht, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der Beförderung befindet / Versendung zum Abnehmer beginnt. Liegt der Ort im Ausland, untersteht die Leistung nicht der Schweizer Inlandsteuer. Bei einer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ins Inland wird der Gegenstand grundsätzlich mit der Einfuhrsteuer besteuert. Der Abnehmer (z.B. Käufer / Mieter) gilt als Importeur; bzw. bei Reihengeschäften der letzte Abnehmer, welchem der Gegenstand im Inland nach Entstehung der Einfuhrsteuerschuld zugestellt werden soll.
Liegt der Leistungsort im Inland, unterliegt die Leistung grundsätzlich der Inlandsteuer.2 Sofern sich der Gegenstand aber unter Zollüberwachung befindet, ist dessen Lieferung von der Inlandsteuer befreit.3 Bei einer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ins Inland wird er jedoch grundsätzlich mit der Einfuhrsteuer besteuert.
In beiden Fällen hat der Abnehmende die Einfuhrsteuer und Zollabgaben zu bezahlen. Erstere kann er bei Anwendung der effektiven Abrechnungsmethode im Rahmen der steuerbaren Nutzungsquote als Vorsteuer in Abzug bringen.
Bei solchen «grenzüberschreitenden» Versandlieferungen begründet der ausländische Lieferant grundsätzlich keine obligatorische MWST-Pflicht in der Schweiz, sofern kein Versandhandel von Kleinsendungen mit einem geringen Wert vorliegt. Die Einfuhr durch den Abnehmer kann sich nachteilig auswirken. Weil die Einfuhrsteuer und allfällige Zollabgaben separat in Rechnung gestellt werden, sind im Bestellzeitpunkt für die Kunden die Gesamtkosten nicht ersichtlich. Bei Lieferungen eines inländischen Lieferanten wird davon ausgegangen, dass dieser die Waren aus dem Ausland einführt. Für jeden einzelnen Abnehmenden muss eine Zollanmeldung erstellt werden, was bei Sammelsendungen einen Mehraufwand bewirkt. Bei Reihengeschäften ist der Verkaufswert der Waren an den Endabnehmer anzugeben, wodurch dem Erstlieferanten die Marge offengelegt wird.
Fallbeispiel 1: Versandlieferungen gemäss den allgemeinen MWST-Regelungen
Die Buntlack AG mit Sitz in Münster (DE) verkauft der Farbengross AG mit Sitz in Zürich 200 Paletten Farbe zum Preis von CHF 100'000. Der Leistungsort liegt im Ausland. Die Fakturierung erfolgt ohne Schweizer MWST. Die Farbengross AG gilt als Importeurin und hat die anfallende Einfuhrsteuer von CHF 7'700 zu bezahlen und kann diese wieder als Vorsteuer in Abzug bringen.
Variante Versandlieferung bei Reihengeschäften
Verkauft und liefert die Farbengross AG die angekauften Farben direkt ab dem Werk der Buntlack AG an ihre 50 Schweizer Kunden ins Inland (Verkaufspreis total CHF 200'000), liegt der Leistungsort dieses Verkaufsgeschäfts ebenfalls im Ausland. Die einzelnen Schweizer Kunden sind Importeur ihrer Waren. Die Einfuhrsteuer berechnet sich auf dem gesamten Verkaufspreis und beträgt CHF 15'400.
Die gleichen Konsequenzen würden resultieren, wenn sich die Farben statt im Ausland unter Zollüberwachung im Inland befinden würden.
Fazit bzw. Nachteil:
Hier sieht die Buntlack AG die Marge der Farbengross AG.
2.1 Verlagerung des Leistungsortes ins Inland durch Anwendung der Unterstellungserklärung Ausland
Durch die Anwendung der Bewilligung Unterstellungserklärung Ausland (nachfolgend: «UA») wird von den obigen Grundsätzen abgewichen. Der Leistungsort wird fiktiv vom Ausland ins Inland verlagert. Der Leistungserbringer wird zum Importeur und berechtigt, den Gegenstand im eigenen Namen in den zollrechtlich freien Verkehr einzuführen. Dies bewirkt zollrechtliche Vereinfachungen, da selbst bei einer Vielzahl von Abnehmern (bei gleichartigen Waren) lediglich eine Zollanmeldung genügt. Bei Reihengeschäften genügt die Deklaration des Verkaufspreises des Erstlieferanten. Durch die UA bewirkt der Leistungserbringer eine Lieferung im Inland, was eine obligatorische MWST-Pflicht begründet.4 Dafür kann er die Einfuhrsteuer als Vorsteuer grundsätzlich in Abzug bringen. Im Zweiparteienverhältnis ist die UA bei Waren sinnvoll, die häufig retourniert werden (Textilien, Schuhe u. Ä.). Der die UA Anwendende gilt bei einer Rückgängigmachung der Lieferung als Exporteur und kann die gesamte Abwicklung steuerlich neutral behandeln. Ohne UA wäre der Schweizer Abnehmende – welcher die Waren zurücksendet – Exporteur. Ohne MWST-Pflicht kann er die Einfuhrsteuer als ausländische Rückware lediglich mit einem hohen administrativen Aufwand zurückfordern.
Fallbeispiel 2: Versandlieferungen unter Anwendung der UA
Verfügt die Buntlack AG über die UA, verlagert sich der Leistungsort beim Verkauf der 200 Paletten Farbe ins Inland. Sie wird mwst-pflichtig, gilt als Importeurin und zahlt die Einfuhrsteuer, welche sie als Vorsteuer wieder in Abzug bringen kann. Auf der Rechnung an die Farbengross AG weist sie die Inlandsteuer von CHF 7'700 aus.
Variante Versandlieferung bei Reihengeschäften unter Anwendung der UA
Verfügt die Farbengross AG über die UA, gilt der Farbenverkauf von der Buntlack AG als im Ausland erbracht. Die Farbengross AG gilt als Importeurin und zahlt die anfallende Einfuhrsteuer von CHF 7'700, welche sie wieder in Abzug bringen kann. Die Lieferung an die 50 inländischen Kunden unterliegt der Inlandsteuer. Auf den Rechnungen weist die Farbengross AG die Steuer von total CHF 15'400 offen aus.
Fazit bzw. Vorteile:
Die Buntlack AG sieht die Marge der Farbengross AG nicht. Die inländischen Kunden erhalten eine Rechnung mit Schweizer MWST und müssen keine zusätzlichen Zoll- und Einfuhrsteuerkosten bezahlen.
2.2 Freiwillige Unterstellung unter die Inlandsteuer durch Anwendung der Unterstellungserklärung Inland
Bei der Lieferung von im Inland unter Zollüberwachung stehenden Gegenständen liegt der Leistungsort im Inland. Folglich findet die UA keine Anwendung. Solche Umsätze können trotzdem freiwillig versteuert werden, mittels der Unterstellungserklärung Inland (nachfolgend: «UI»).5 Der Inhaber der UI wird zum Importeur und der nachfolgende Verkauf wird freiwillig der Inlandsteuer unterstellt. Die UI kommt in erster Linie bei Lieferungen ab offenen Zolllagern / Zollfreilagern sowie Auktionsfällen zur Anwendung. Bei unter Zollüberwachung stehenden Lieferungen von Gegenständen ist sicherzustellen, dass das jeweilige Verfahren ordnungsgemäss abgeschlossen ist. Im Gegensatz zur UA ist sie weder in der MWSTV noch im MWSTG explizit vorgesehen, sondern beruht auf einer Vereinbarung zwischen der jeweiligen Steuerpflichtigen und der ESTV.
Fallbeispiel 3: Versandlieferungen von Gegenständen, welche unter Zollüberwachung stehen
Gegenstände werden im Transitverfahren vom Ausland in ein Lager im Inland verbracht. Die im Lager befindlichen Gegenstände werden verkauft und in der Folge ins übrige Inland überführt (Auslagerung; Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr).
- MWST-Folgen ohne Anwendung der UI: Die Lieferung der Gegenstände, die sich im Lager befinden, ist von der Inlandsteuer befreit. Folglich gilt bei der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr der (inländische) Abnehmer als Importeur.
- MWST-Folgen bei der Anwendung der UI: Die Lieferung der Gegenstände, die sich im Lager befinden, ist steuerbar (freiwillige Unterstellung unter die Inlandsteuer). Der Lieferant darf diese Steuer in der Rechnung offen ausweisen. Im Hinblick auf die Einfuhrsteuer gilt der Lieferant als Importeur. Als Bemessungsgrundlage der Einfuhrsteuer gilt der Marktwert des Gegenstandes; aus Vereinfachungsgründen kann auch der Verkaufspreis herangezogen werden [Wahlrecht]).
2.3 Formelle Hinweise
Die Anwendung der Unterstellungserklärung muss bei der ESTV mittels Formular Nr. 1235/1236 (UA) bzw. Formular Nr. 1245/1246 (UI) beantragt werden. Je nach Sachverhaltskonstellation bedarf es einer oder beider Bewilligungen. Die Bewilligung lautet auf den Antragsteller als einzelnes Rechtssubjekt (≠ MWST-Subjekt) und setzt die Anwendung der effektiven Abrechnungsmethode voraus. Bei MWST-Gruppen muss die jeweilige Bewilligung für jedes einzelne Mitglied beantragt werden, welches die Bewilligung anwenden will.
Unter Anwendung der Unterstellungserklärung ist in der Zollanmeldung der Lieferer und Bewilligungsinhaber als Importeur (bei ausländischen Unternehmen ohne Sitz in der Schweiz per Adresse des Steuerstellvertreters) und der Abnehmer als Empfänger anzugeben. Bemessungsgrundlage der Einfuhrsteuer (Wahlrecht):
- Marktwert oder
- Entgelt (Verkaufspreis) am Bestimmungsort im Inland, das der Abnehmer dem Lieferanten für den gelieferten Gegenstand schuldet.
2.4 Verzicht auf Anwendung der Unterstellungserklärung
Auf die Anwendung der Unterstellungserklärung kann im Einzelfall verzichtet werden. Dadurch wird wieder der Abnehmer zum Importeur des Gegenstandes. Der Verzicht setzt aber voraus, dass in der Zollanameldung der Lieferer als Versender und der Abnehmer als Importeur und Empfänger angegeben werden. Zudem muss der Lieferer in seiner Rechnung explizit auf den Verzicht der Anwendung der Unterstellungserklärung hinweisen und hinsichtlich dieser Leistung auch keine Inlandsteuer in Rechnung stellen.
1 Z.B. Lieferungen ab Zolllagerverfahren (z.B. offene Zolllager) oder Zollfreilagern sowie ab Zollverfahren der aktiven Veredelung oder der vorübergehenden Verwendung.
2 Ausnahme nach Art. 4 MWSTV beachten, bei Gegenständen, die aus dem Ausland in ein Lager im Inland verbracht und ab diesem Lager geliefert werden (z.B. Auslieferungs- oder Konsignationslager).
3 Vgl. Art. 23 Abs. 2 Ziff. 3 und 3bis MWSTG.
4 Steuervertretung bei ausländischen Unternehmen ohne Sitz in der Schweiz erforderlich.
5 Sie ersetzt die bis im Sommer 2015 verwendete «Bewilligung zur freiwilligen Versteuerung von Lieferungen aus offenen Zolllagern/Zollfreilagern».