Qualitätskriterien
23. Mai 2024, Recht & Steuern

Qualitätskriterien gewinnen bei öffentlichen Beschaffungen massgeblich an Bedeutung

Das neue Beschaffungsrecht hat die Spielregeln der öffentlichen Vergaben in der Schweiz verändert. Der Zuschlag erfolgt an das vorteilhafteste statt an das wirtschaftlich günstigste Angebot, was den Qualitätswettbewerb stärkt und die Beschaffungsstellen mit einem grösseren Ermessenspielraum ausstattet. 

Das Beschaffungsrecht des Bundes und der Kantone wurde weitergehend harmonisiert und gleichzeitig die Revision des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA 2012) umgesetzt. Während für öffentliche Beschaffungen auf Bundesebene das neue öffentliche Beschaffungsgesetz (BöB) am 1. Januar 2021 in Kraft getreten ist, wurde auf Ebene der Kantone die revidierte Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) verabschiedet, der zwischenzeitlich die Mehrheit der Kantone beigetreten ist. Die Zielsetzung des Vergaberechts wurde in Bezug auf den volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel ergänzt. Neben den gleichbleibenden Grundsätzen der Transparenz und der Gleichbehandlung fokussiert das neue Recht stärker auf die Bekämpfung illegaler Absprachen und Korruption.
 

Qualitätswettbewerb
Das neue Beschaffungsrecht stärkt den Qualitätswettbewerb, indem nicht wie früher derjenige Anbieter mit dem wirtschaftlich günstigsten Angebot den Zuschlag erhält, sondern der Anbieter mit dem vorteilhaftesten Angebot die Ausschreibung gewinnt. Neben wirtschaftlichen Gesichtspunkten können qualitative Aspekte wie Nachhaltigkeit, insbesondere ökologische und soziale Nachhaltigkeit, sowie der Innovationsgehalt der angebotenen Leistung stärker berücksichtigt werden. Dies ermöglicht eine umfassendere Würdigung mit langfristigem Planungshorizont und stärkt den Wirtschaftsstandort Schweiz. Eine exakt nachvollziehbare Vollkostenrechnung wird in der Praxis kaum erreicht. Zuschlagsverfügungen können zwar volkswirtschaftlich und ökologisch besser begründet werden. Jedoch wird der Zuschlag damit auch eher anfechtbar. Dieser Umstand liegt im allgemeinen
wirtschaftsregulatorischen Trend, sich weg von einfachen und klaren Regeln hin zu Einzelfallprüfungen zu bewegen. Die beste Lösung im Einzelfall steht hier im Spannungsverhältnis zum Bedürfnis nach Rechtssicherheit.
 

Empfehlungen

  • Dokumentation von Nachhaltigkeits kriterien wie Umwelt- und sozialen Kriterien wird zum zentralen Erfolgsfaktor. 
  • Definition eines Qualitätsmanagementprozesses inkl. Vollkostenüberlegungen (Einkauf, Produktion, Wartung und Recycling).
  • Schriftliche Nachfragen bei unklaren Zuschlagskriterien reduzieren faktisch das Ermessen der Vergabestelle.

Bereinigung der Angebote
Das harmonisierte Beschaffungsrecht folgt in Bezug auf die Angebotsbereinigung dem bisherigen Ansatz der Kantone: Reine Preisverhandlungen (sog. Abgebotsrunden) sind sowohl auf Bundes- als auch auf Kantonsebene unzulässig. Die technische Bereinigung der Angebote bleibt dagegen möglich, wenn erst dadurch der Auftrag geklärt oder die Angebote miteinander
vergleichbar gemacht werden können. Ausserdem bleiben Leistungsänderungen möglich. In beiden erwähnten Fällen ist auch eine Aufforderung zur Preisanpassung zulässig. Bei einer Erhöhung der Leistung ist unter Umständen auch der Preis zu erhöhen. Andernfalls würde das Risiko bestehen, dass die technische Bereinigung als unzulässiges (verdecktes) «Abgebot» qualifiziert werden könnte.

Unterangebote
Ungewöhnlich tiefe Angebote stellen per se kein vergaberechtliches Problem dar. Preiskampf unter den eigenen Kosten kann bei Marktmacht aus kartellrechtlicher Sicht heikel sein. Das Parlament verpflichtet die Vergabestelle immerhin bei einem möglichen Unterangebot zusätzliche Erkundigungen darüber einzuholen, ob die Teilnahmebedingungen effektiv eingehalten sind. Mit Unterangeboten riskiert der Anbieter zudem ein erstes Warnsignal auszulösen, welches die Verlässlichkeit
und Vertrauenswürdigkeit in Frage stellen könnte.

Rahmenverträge
Die Ausschreibung von Rahmenverträgen (mit oder ohne Bezugspflicht) sind gerade beim Einkauf von Dienstleistungen üblich. Diese Möglichkeit ist im neuen Beschaffungsrecht explizit geregelt, wobei der Rahmenvertrag mit einem Anbieter (Einzelauftrag) oder mehreren Anbietern (paralleler Auftrag) abgeschlossen werdenkann. Für die Berechnung der Umsatzschwellen ist der maximale Beschaffungswert inkl. Verlängerungs- und Zusatzoptionen relevant. Der Inhalt der Leistung muss derart genau beschrieben werden, dass sich während der Laufdauer des Rahmenvertrags die Beschaffungsanforderungen und somit die in Frage kommenden Anbieter nicht ändern. Einzelverträge über den Inhalt des Rahmenvertrages hinaus, sind vergaberechtswidrig bzw. gelten als freihändige Vergaben. Die Laufzeit eines Rahmenvertrags beträgt höchstens fünf Jahre – eine automatische Verlängerung ist nicht möglich. In begründeten Fällen kann eine längere Laufzeit vorgesehen werden, was beispielsweise bei IT-Dienstleistung vorkommen kann. Im Rahmenvertrag wird der konkrete Leistungsabruf geregelt. Neben einem freihändigen Abruf ist auch ein abgekürztes Ausschreibungsverfahren (der sog. «Mini-Tender») möglich.


Sanktionen
Den Beschaffungsstellen steht ein umfassendes Sanktionsinstrumentarium zur Verfügung. In vielfältigen Situationen kann von der Ausschlussmöglichkeit Gebrauch gemacht werden. Die Ausschlussgründe sind allerdings teilweise sehr breit und nicht präzise formuliert. Beispielsweise kann eine Anbieterin ausgeschlossen werden, wenn sie frühere öffentliche Aufträge mangelhaft erfüllt hat oder in anderer Weise erkennen liess, keine verlässliche und vertrauenswürdige Vertragspartnerin zu sein. Ausserdem reichen bereits hinreichende Anhaltspunkte, Arbeitsschutzbestimmungen, Arbeitsbedingungen oder Umweltschutzvorgaben missachtet zu
haben. Ein strikter Beweis für solches Verhalten ist nicht erforderlich. Weiter können auch Indizien für einen Verstoss gegen kartellrechtliche und lauterkeitsrechtliche Bestimmungen ausreichend sein. Zusätzlich bestehen folgende vergaberechtliche Sanktionen: Verwarnung, Vergabesperre und auf kantonaler Ebene auch Bussen. Die Beschaffungsstellen sind zur Meldung von rechtkräftigen Vergabesperren verpflichtet, wobei die Sperre grundsätzlich nur gegenüber der verfügenden Beschaffungsstelle wirken soll. Die Busse kann bis zu zehn Prozent der bereinigten Angebotssumme betragen.

          Empfehlungen

  • Dokumnetation sämtlicher Bemühungen der Einhaltung anwendbarer Bestimmungen, inkl. Compliance-Management-System 
  • Aufarbeitung alfälliger Verstösse und Dokumentation der Massnahmen (betriebliche Anpassungen, Schulungen)
  • Plausibilierung der Einhaltung der Bestimmungen durch den Zuschlagsempfänger. Ermessen der Vergabestelle 

 

Vergabeverfahren
Für die Wahl der Verfahrensart sind grundsätzlich die in der nachfolgenden Tabelle abgebildeten Schwellenwerte mit Bezug auf die Auftragssumme massgeblich, wobei zwischen Beschaffungen im und ausserhalb des Staatsvertragsbereichs unterschieden wird.


Fazit
Die qualitativen Kriterien wie Nachhaltigkeit und Innovation stärken den Qualitätswettbewerb unter den Anbietern. Auch wenn daneben wichtige Grundsätze des Beschaffungsrechts unverändert bestehen, sollten Anbieter ihre (bestehenden) Angebote und Dokumentationen in Bezug auf diese Kriterien überprüfen und, wo notwendig, anpassen, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten bzw. zu stärken.

Schwellenwerte im Vergabeverfahren -  Wenger und Vieli



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