Das Unternehmertum in der Schweiz floriert – und insbesondere Familienunternehmen spielen ganz vorne mit. So trugen Firmen wie Richemont und Roche im vergangenen Jahr gemeinsam zu 28 Prozent der Marktkapitalisierung des SPI bei und erwirtschaften mehr als 25 Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP). Doch was ist ihr Schlüssel zum langfristigen Erfolg? Erfahren Sie es im Expertengespräch.
Daniela Diethelm: Jean-Philippe, die grosse Frage gleich zuerst: Warum sind Familienunternehmen so erfolgreich? Was haben diese Firmen, was andere nicht haben?
Jean-Philippe Bertschy: Diese Frage hat auch uns intensiv beschäftigt, Daniela, und hat schliesslich zu einer Studie geführt. Dabei haben wir 29 Unternehmen untersucht, bei denen die Familie – in der Regel die Gründer – mindestens 20 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmrechte hält. So haben wir festgestellt, dass Familienunternehmen grundsätzlich konservativer mit Verschuldung umgehen. Zudem verfügt knapp die Hälfte der untersuchten Unternehmen derzeit über Nettoliquidität. Ganz im Gegensatz zu Nicht-Familienunternehmen, von denen nur weniger als ein Fünftel nettoliquide ist. Gleichzeitig ist die Ausschüttungsquote von Familienunternehmen im Zeitverlauf stabiler und sie zahlen deutlich höhere Dividenden. So beträgt die Dividende im Durchschnitt das 0,6-Fache des Nettogewinns.
Daniela Diethelm: Das klingt vielversprechend. Gelten die von dir erläuterten Faktoren auch für KMUs oder nur für Grosskonzerne? Und ist dieser Erfolg auch nachhaltig?
Jean-Philippe Bertschy: Die meisten Familienunternehmen in der Schweiz sind mittelgross. Ihre Performance über die Zeit ist zudem die treibende Kraft für die gesamte Gruppe, da mittelgrosse Unternehmen sich in den letzten 20 Jahren im Allgemeinen in einem «Sweet Spot» befanden. Noch aufschlussreicher ist ein Vergleich der einzelnen Gruppen mit der jeweiligen Benchmark. Während die Large-Cap-Familienunternehmen den SMI-Index um mehr als 1,6 Prozent pro Jahr übertrafen, erzielten die Mid-Cap-Familienunternehmen eine durchschnittliche Outperformance von 3,3 Prozent gegenüber dem SMIM-Index. Über die letzten 20 Jahre hinweg haben Familienunternehmen grundsätzlich besser abgeschnitten als Nicht-Familienunternehmen. Ich glaube, dass dies mit den längerfristigen Anreizen für das Management zusammenhängt. So kann sich das Management auf die Verbesserung des Unternehmens zum Nutzen künftiger Generationen konzentrieren, anstatt sich von kurzfristigen Leistungsanreizen verleiten zu lassen. Diese Erkenntnis ist für Investoren wertvoll, denn sie unterstreicht die langfristige Perspektive, die bei Investitionen in Familienunternehmen eingenommen werden sollte.
Daniela Diethelm: Gehen wir zu meiner nächsten Frage. In welchen Sektoren haben Familienunternehmen den grössten Einfluss? Gibt es hier grosse Unterschiede?
Jean-Philippe Bertschy: Es ist tatsächlich so, dass es in bestimmten Sektoren viel mehr Familienunternehmen gibt als in anderen. In der Schweiz handelt es sich hierbei um Unternehmen im Industrie- oder Konsumgütersektor. So machen in der Schweizer Industrie zwölf Familienunternehmen 41 Prozent der Gesamtzahl aus. An zweiter Stelle folgen Familienunternehmen im Konsumgüterbereich, wobei der Schwerpunkt im Nicht-Basiskonsumgüterbereich liegt. Das hat mich nicht verwundert, da sich viele grosse Konsumgüterunternehmen weltweit ebenfalls in Familienbesitz befinden, insbesondere im Luxusgüter- und Automobilsektor. So sind beispielsweise LVMH, Kering, Hermès, Ford und BMW in Familienhand. In der Schweiz lässt sich hier beispielsweise der Genfer Konzern Richemont mit Marken wie Cartier, IWC und Montblanc verorten.
Daniela Diethelm: Bei Grosskonzernen wie Richemont oder Roche drängt sich bei mir die Frage auf, wie stark die Familien, die das Unternehmen zum Teil vor Generationen gegründet haben, noch mit der Firma verbunden sind. Was hat ein Spross der Gründerfamilie mit der Unternehmensführung zu tun? Wird innerhalb der Familie um die Nachfolge gekämpft, wie wir es aus dem Fernsehen kennen?
Jean-Philippe Bertschy: Ich glaube bei uns in der Schweiz sieht es dann doch ein wenig gesitteter aus als bei HBO, auch wenn der Gedanke natürlich unterhaltsam ist. Grundsätzlich ist es so, dass Familienmitglieder entweder eine Aufsichts- oder eine Führungsposition im Unternehmen innehaben. Natürlich können auch mehrere Familienmitglieder gleichzeitig Positionen im Unternehmen besetzen, wer sich wie stark engagiert, hängt immer von der Familie und den einzelnen Mitgliedern ab. In unserer Studie haben wir festgestellt, dass in fast der Hälfte der untersuchten Familienunternehmen ein Familienmitglied den Vorsitz innehat, während weniger als ein Drittel der CEO-Positionen in Familienunternehmen von einem Familienmitglied besetzt sind. Darüber hinaus ist in fünf von sechs Unternehmen, in denen der CEO ein Familienmitglied ist, auch der Vorsitzende ein Teil der Familie. Das ist beispielsweise bei der EMS-Chemie oder der Swatch Group der Fall.
Daniela Diethelm: Und das geht ohne Reibungspunkte?
Jean-Philippe Bertschy: Leider gibt es diesbezüglich tatsächlich Schattenseiten. So haben wir festgestellt, dass Governance-Kennzahlen von Familienunternehmen im Vergleich zu Unternehmen in Nicht-Familienbesitz schlecht sind. Nehmen wir zum Beispiel die Regel «eine Aktie, eine Stimme». Dieser Grundsatz gewährleistet im Normalfall ein angemessenes Verhältnis zwischen Risiko und Macht unter den Aktionären. Wenn hier aber Familienmitglieder involviert sind und es zu Interessenkonflikten kommt, kann das Verhältnis zwischen familieninternen und familienexternen Managern zu Reibungen führen. Häufig haben die Familieneigentümer erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Strategie und die Bewertung der Umsetzung, was den Einfluss von Nicht-Familienaktionären auf das Unternehmen begrenzt.
Daniela Diethelm: Wird etwas getan, um diese Situation zu verändern?
Jean-Philippe Bertschy: Mit dem wachsenden Bewusstsein für die ESG-Merkmale von Unternehmen haben wir festgestellt, dass nicht nur institutionelle Anleger, sondern auch immer mehr Privatanleger die Bedeutung der Corporate Governance erkennen – zusätzlich zu ökologischen und sozialen Praktiken. Wir gehen daher davon aus, dass Investoren die Corporate Governance und dabei insbesondere Familienunternehmen in Zukunft genauer unter die Lupe nehmen. Das könnte zu Verbesserungen innerhalb dieser Unternehmen führen. Es gibt jedoch auch genügend Fälle, die zeigen, dass Familienbesitz für Stabilität sorgen und bei richtiger Umsetzung auch für Nicht-Familienaktionäre einen erheblichen Mehrwert schaffen kann. So erzielten beispielsweise Richemont und Lindt & Sprüngli, beides Familienunternehmen, über einen Zeitraum von fünf Jahren den höchsten Total Shareholder Return. Und im Gesundheitssektor schnitt Ypsomed, ebenfalls ein Familienunternehmen, am besten ab.