Versicherer müssen sich auf einen dauerhaft gesättigten Markt einstellen. Besonders betroffen ist der auf Umsatzwachstum angelegte Versicherungsvertrieb - der effizienter, kundenorientierter und qualifizierter arbeiten muss. Das bisherige Neugeschäftsdenken weicht damit einem ertragsorientierten Blickwinkel.
Deutsche Versicherungslandschaft am Scheideweg
Um den Mangel an profitablem Neugeschäft auszugleichen, werden die meisten Versicherer in den nächsten Jahren stärker auf langfristiges Geschäft mit bestehenden Kunden setzen müssen. Bei einer solchen Vertriebsstrategie geht es nicht mehr in erster Linie darum, möglichst viele Neugeschäfte zu zeichnen. Stattdessen soll der Vertrieb ertragsreiches und qualitatives Geschäft identifizieren, halten und systematisch erweitern. Im Vordergrund einer solchen Vertriebsarbeit steht die Bindung und Betreuung der Bestandskunden. „Im Versicherungsvertrieb ist das ein Paradigmenwechsel, wenn nicht sogar eine Revolution“, sagt Verischerungsexperte Naujoks. „Ertragsorientierte Bestandsarbeit erfordert ein viel langfristigeres Denken, ein gutes Kundenverständnis, eine hoch qualifizierte Beratung, intelligente Bestandsprodukte und nicht zuletzt auch neue Vergütungsstrukturen.“
Damit ein Bestandsbetreuungs-Konzept Erfolg hat, muss der Vertrieb seine Kunden besser kennenlernen und sie so beraten, dass sie langfristig gebunden werden können. Das bedeutet einen grossen Wandel in der Kultur der Vertriebe. Darüber hinaus muss jeder Vermittler bei weniger Neugeschäft und sinkender Provisionshöhe effizienter arbeiten. Nur so kann er seine Gesamtvergütung auf einem akzeptablen Niveau halten.
Die Provisionssysteme bleiben eine wichtige Komponente im Erneuerungsprozess der Versicherungsvertriebe. In der Vergangenheit waren sie beinahe ausschliesslich auf Neugeschäfts-Umsätze ausgelegt - ohne die Ertragskraft der vermittelten Verträge zu berücksichtigen. Dieses System offenbarte fundamentale Schwächen: Oftmals sind gerade die grössten Agenturen strukturell unprofitabel, da Provisionen und sonstige Vertriebskosten die Erträge übersteigen oder überproportional hohe Schadenquoten das Geschäft belasten.
„Künftige Incentive- und Provisionsstrukturen müssen einerseits eine qualitativ hochwertige Kundenberatung honorieren, andererseits gezielt gute Risiken und profitables Geschäft belohnen“, sagt Versicherungsexperte Kinder. „Dabei können Qualitätsfaktoren - wie geringes Bestandsstorno, Bestandsausschöpfung oder beraterindividuelle Schadenquoten - sowohl über die Incentivierung, als auch über das Karrieresystem honoriert werden.“ Und auch die Rabattkompetenz des einzelnen Aussendienstmitarbeiters im immer härter umkämpften Neugeschäftsmarkt kann über solche Qualitätskriterien entsprechend beurteilt werden.
Die Weiterentwicklung des Versicherungsvertriebs muss vom Versicherer strategisch initiiert und operativ geführt werden. „Die produktseitige Ausstattung der Vertriebe spielt eine wesentliche Rolle. Bei den Lebensversicherungen bedeutet dies nicht nur ein Weiterdenken bestehender Produkt- und Garantiekonzepte, sondern es müssen darüber hinaus grundsätzliche Fragestellungen beantwortet werden - wie etwa welche Produkte in welchem Umfang über welche Kanäle abgesetzt werden sollen“, sagt Assekuranz-Experte Kinder. Auch für Kompositversicherungen gilt es strategisch festzulegen, welche Absatzziele z.B. für KFZ-Versicherungen in den jeweiligen Vertriebskanälen erreicht werden sollen. Und wie und in welchem Umfang vor diesem Hintergrund ein ganzheitlicher beratender Anspruch an die Vertriebe gestellt werden kann.
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