Stellen Sie sich vor: Sie beliefern einen deutschen Kunden und der Kunde verlangt von Ihnen, dass Sie seinen Standard-Einkaufsvertrag akzeptieren. In dem Vertrag ist folgende Klausel enthalten: «Es gilt deutsches Recht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts. Die Gerichte am Geschäftssitz des Kunden sind zuständig.» Können Sie den Vertrag akzeptieren? Welche Risiken und Chancen bieten Ihnen die deutschen Bedingungen?
Darauf müssen Unternehmen beim Export nach Deutschland achten
3 positive Aspekte des deutschen Rechts aus Lieferanten-Sicht
- Verjährungsfrist bei Mängel Das deutsche Recht sieht für Mängel eine einheitliche Verjährungsfrist vor. Nach den Schweizer Vorschriften gilt eine Verjährungsfrist von zwei Jahren ab Ablieferung bei Schlechtleistung (sogenannte peius) oder eine Verjährungsfrist von zehn Jahren, falls etwas anderes als das Bestellte geliefert wurde (sogenannte aliud). Eine Unterscheidung fällt in der Praxis häufig schwer. Dagegen gilt nach deutschem Recht – unabhängig von der Art des Mangels – eine «sichere» Verjährungsfrist von zwei Jahren ab Gefahrübergang.
- Ersatzleistung bei Mängel
Das deutsche Recht sieht vor, dass der Lieferant – der mangelhaft liefert – zunächst immer ein Recht auf Reparatur (sogenannte Nachbesserung) oder auf Lieferung einer mangelfreien Sache hat. Das Schweizer Recht sieht das Nachbesserungsrecht nicht vor. Es muss vertraglich vereinbart werden. Ansonsten ist der Lieferant direkt zur Lieferung von mangelfreiem Ersatz verpflichtet. - Bewertung von Standardverträgen/AGB
Die deutschen Vertragsbedingungen und der Rechtsstreit vor einem deutschen Gericht können für Sie ausserdem vorteilhaft sein. Denn die deutschen Gerichte sind bei der Bewertung von Standardverträgen/AGB sehr streng und auch bei Verträgen unter Kaufleuten können viele Klauseln, die zu weit von den deutschen gesetzlichen Vorschriften abweichen, für unwirksam erklärt werden. Sie geniessen also einen Verbraucher-ähnlichen Schutz. Im Streitfall können Sie sich auf die Unwirksamkeit berufen. In Einkaufsbedingungen und Standard-Einkaufsverträgen sind nach deutschem AGB-Recht zum Beispiel folgende Aspekte unwirksam:
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- Garantien (die im Unterschied zur Gewährleistung die Haftung des Lieferanten über das gesetzliche Mass hinaus erweitern)
- unverhältnismässig hohe Vertragsstrafen und Pauschalen
- erhebliche Verlängerungen der Verjährungsfristen
- erhebliche Verlängerung der Rügefristen
- eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Lieferanten
Bedeutung des deutschen AGB-Rechts im Fallbeispiel
Die Nachteile des strengen deutschen AGB-Rechts treffen Sie in diesem Beispielsfall nicht. Aber seien Sie vorsichtig: Sie sind nach dem deutschen AGB-Recht nur geschützt, solange Ihr Kunde die Vertragsbedingungen nicht mit Ihnen im Detail verhandelt und sich dabei ernsthaft kompromissbereit zeigt. Wenn Sie den AGB-Vertrag detailliert mit Ihrem Kunden verhandeln und er seine Vertragsbedingungen inhaltlich für Sie anpasst, erhält der Vertrag einen individuellen Charakter. Die Folge ist, dass die zunächst unwirksamen Klauseln dann wirksam werden.
Das deutsche AGB-Recht ist eine Falle, wenn Sie Ihre eigenen – nach Schweizer Recht erstellten Verkaufsbedingungen – mit einem deutschen Kunden vereinbaren, dabei aber dem Wunsch des Kunden nach deutschem Recht nachkommen. In dem Fall werden Ihre Verkaufsbedingungen plötzlich nach dem strengen deutschen AGB-Recht bewertet. Das kann vor allem Auswirkungen auf eine Klausel zur Beschränkung Ihrer Haftung haben. Nach Schweizer Recht gültige Klauseln zur Haftungsbeschränkung sind nach deutschem Recht überwiegend unwirksam. Eine Rückführung auf das gerade noch zulässige Mass erfolgt nicht.
Ein weiterer Vorteil des deutschen Rechts ist der Eigentumsvorbehalt. Hierzu folgendes Beispiel: Sie liefern fortlaufend Teile an einen langjährigen Kunden in Deutschland. Das Zahlungsziel beträgt sechzig Tage. Die Rechnungen wurden bislang immer pünktlich beglichen. Seit einigen Monaten findet Ihr Kunde aber immer wieder fadenscheinige Vorwände, um die Zahlung zurückzuhalten. Als insgesamt 400.000 Euro Aussenstände aufgelaufen sind, erhalten sie die Nachricht, dass über das Vermögen Ihres Kunden die Insolvenz eröffnet wurde. Was nun?
Deutsche vs. Schweizer Rechtslage
Als Schweizer Unternehmer wissen Sie, dass ein Eigentumsvorbehalt in ein Register eingetragen werden muss. Das Schweizer Recht kennt auch nur den einfachen Eigentumsvorbehalt. Für die Lieferung von Komponenten, die vom Kunden verbaut und dann weiterverkauft werden, erscheint er Ihnen deshalb ungeeignet. Aber dies gilt nur innerhalb der Schweiz.
In Deutschland sieht es ganz anders aus: Das deutsche Recht kennt den sogenannten erweiterten und verlängerten Eigentumsvorbehalt. Die Beurteilung der Frage, wer Eigentum an der verkauften Sache hat, richtet sich – unabhängig von der Rechtswahl – immer nach dem Recht des Landes, in dem sich die Sache befindet. Solange also Ihr Kunde die gelieferten Teile in Deutschland verarbeitet und an deutsche Kunden weiterverkauft, kann Sie der verlängerte und erweiterte Eigentumsvorbehalt retten. Denn dieser sichert ab, dass Sie Ihr Eigentum auch bei Verarbeitung behalten.
Zudem tritt Ihr Kunde Ihnen bei Weiterveräusserung seine Ansprüche gegen seinen Kunden ab – zumindest in Höhe Ihres Eigentumsanteils am Endprodukt. Ausserdem muss er Ihnen bei Zahlungsverzug darlegen, gegen welchen Kunden er noch offene Forderungen hat. Dann können Sie – unter Hinweis auf den erweiterten Eigentumsvorbehalt – an diese Kunden direkt herantreten und Zahlung an sich verlangen. Ausserdem können Sie noch bei Ihrem Kunden vorhandene Ware vom Insolvenzverwalter herausverlangen. Das hört sich kompliziert an, ist aber in Deutschland üblich. Kreditversicherer fordern sogar die Vereinbarung eines solchen Eigentumsvorbehalts.
Einen solchen verlängerten und erweiterten Eigentumsvorbehalt sollten Sie stets mit einem deutschen Kunden vereinbaren – unabhängig vom anwendbaren Recht. Aber der Eigentumsvorbehalt ist auch kein Allheilmittel. In der Insolvenz Ihres Kunden hilft er Ihnen beispielsweise dann nicht weiter, wenn Ihr Kunde die Ware vor der Insolvenz weiterveräussert und die Zahlung bereits vereinnahmt hat oder wenn der Endkunde die Zahlung (etwa wegen Mängeln) verweigert. Bitte denken Sie daher auch an weitergehende Sicherungsmittel – wie zum Beispiel Anzahlungen, Letter of Credit oder Bürgschaften.
(Bildquelle: © xavierarnau/iStockphoto)