Thematik gewinnt an Relevanz
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Standorten Schweiz und Deutschland sind traditionell sowohl im Finanzsektor als auch im Dienstleistungs- und Handelssektor eng miteinander verflochten – und das bereits seit vielen Jahrzehnten. In zunehmendem Masse gilt das auch für die mittelständische Wirtschaft.
Die steuerliche Ausrichtung der beiden Staaten ist (immer noch) unterschiedlich. Das macht sich besonders im Steuergefälle bemerkbar. Sind deutsche Unternehmer in der Schweiz wirtschaftlich tätig, werden sie aufgrund dessen mit den speziellen Barrieren des deutschen Aussensteuerrechtes und den daraus resultierenden zusätzlichen Steuerbelastungen konfrontiert. Derartige, oftmals überraschende, finanzielle Belastungen können einen prohibitiven Charakter annehmen – was die Notwendigkeit von Vermeidungsstrategien verstärkt.
Aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung zeigt sich der Stellenwert dieser Thematik unter anderem darin, dass deutsche Finanzämter im grenznahen Bereich spezialisierte personelle Zuständigkeiten – für die Erfassung und Bearbeitung von Fällen des Aussensteuergesetzes – im Verhältnis zur Schweiz eingerichtet haben.
Anwendungsbereich und Systematik der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung
Die einfachste Form Steuergefälle zwischen zwei Staaten auszunutzen und die thesaurierten Gewinne von der deutschen Besteuerung abzuschirmen ist die Gründung einer Kapitalgesellschaft im Ausland. Das hat der deutsche Gesetzgeber bereits 1972 erkannt.
Mit der Einführung der §§ 7-14 im AStG sollte ein Grossteil der potentiellen Missbrauchsgestaltungen eingeschränkt werden. Diese Zielsetzung soll durch die Hinzurechnungsbesteuerung (HZB) verwirklicht werden. Der Anwendungsbereich der HZB wird unter folgenden, kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen eröffnet:
- «Deutschbeherrschung» einer niedrig besteuerten ausländischen Gesellschaft bzw. Betriebsstätte zu mehr als fünfzig Prozent durch in Deutschland ansässige und unbeschränkt steuerpflichtige Personen (oder bereits bei Beteiligungen unter einem Prozent, wenn es sich dabei um Beteiligungen an vermögensverwaltenden Gesellschaften handelt, § 7 AStG).
- Niedrige Ertragsteuerbelastung der ausländischen Beteiligungsgesellschaft mit weniger als 25 Prozent (§ 8 Abs. 3 AStG) sowie
- Ausübung einer sogenannten «passiven Tätigkeit» bzw. Nichterfüllen der Voraussetzungen des Aktivitätskatalogs (§ 8 Abs. 1 AStG).
Staaten, die einen Regelsteuersatz unter 25 Prozent haben, wachsen in den Anwendungsbereich der deutschen HZB hinein. Für die Ermittlung der Steuerbelastungsquote in der Schweiz ist die Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuer mit einzubeziehen. Die Voraussetzung der «Niedrigbesteuerung» wird danach in fast allen Kantonen der Schweiz erfüllt.
Im Zentrum des Anwendungsbereichs der HZB steht der Aktivitätskatalog des § 8 Abs. 1 AStG – der auch das wesentliche Problemfeld darstellt. Die darin aufgeführten Tätigkeiten werden vom Gesetz als aktiv und damit aussensteuerrechtlich unbedenklich anerkannt. Diese sind restriktiv und im Hinblick auf moderne Formen unternehmerischer Aktivitäten veraltet formuliert. Das führt dazu, dass oftmals betriebswirtschaftlich sinnvolle Strukturen – bei denen ein Transfer von Steuersubstrat lediglich einen unvermeidlichen Reflex darstellt – durch die Anwendung der HZB mit Steuermehrbelastungen «bestraft» werden.
Sind die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen erfüllt, werden die Rechtsfolgen der HZB ausgelöst. Der nach deutschen Grundsätzen zu ermittelnde Gewinn der ausländischen (schweizerischen) Gesellschaft gilt dann unmittelbar nach Ablauf des massgebenden Wirtschaftsjahres den inländischen (deutschen) Gesellschaftern als fiktive Dividende.
Auf diese, bei der deutschen Besteuerung hinzugerechneten fiktiven Dividende, findet jedoch das Teileinkünfteverfahren keine Anwendung beziehungsweise der Abgeltungssteuersatz von 25 Prozent. Das gilt auch für § 8b KStG, Besteuerung mit einer Einkünftequote von fünf Prozent.
Sofern die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft nicht im Privat- sondern im Betriebsvermögen gehalten wird, unterliegt der Hinzurechnungsbetrag neben der Einkommen- oder Körperschaftsteuer zusätzlich auch der Gewerbesteuer. Die bei der ausländischen Gesellschaft bereits entstandene Ertragsteuer kann im Wirtschaftsjahr der Zahlung auf Antrag auf die deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer angerechnet werden – nicht aber auf die Gewerbesteuer.
Vermeidung der Hinzurechnungsbesteuerung durch Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit («Motivtest»)
Der EuGH hat in der Rs. Cadbury Schweppes (Az. C-196/04) am 12.9.2006 entschieden, dass die – mit der deutschen vergleichbare – britische Hinzurechnungsbesteuerung als europarechtswidrig einzustufen ist. Und zwar insoweit, als sie dem Steuerpflichtigen keinen Gegenbeweis ermöglicht, dass die zwischengeschaltete ausländische Gesellschaft eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.
Voraussetzung hierfür ist, dass die ausländische Gesellschaft über einen eingerichteten Geschäftsbetrieb in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen verfügt. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung durch die Einführung des sogenannten «Motivtests» in nationales Recht umgesetzt – in § 8 Abs. 2 AStG im Jahressteuergesetz 2008. Entgegen der ursprünglichen Intention wurde die Anwendung des Motivtest aber auf Gesellschaften in EU- und EWR-Staaten begrenzt. Zudem knüpft der Paragraph an die weitere Voraussetzung der Erteilung von Auskünften im Wege der Amtshilfe an.
Anwendung des Motivtest auch im Verhältnis zum Drittstaat Schweiz?
Nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH ist die herrschende Literatur der Auffassung, dass Hinzurechnungsbesteuerungsfälle in Drittstaatenkonstellationen dem Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit unterfallen – und damit auch im Verhältnis zur Schweiz. Dem steht auch nicht der Bestandsschutz des Art. 64 Abs. 1 AEUV (sogenannte «Stand-Still»-Regelung) für Regelungen entgegen. Diese bestanden bereits am 31.12.1993. Die Hinzurechnungsbesteuerung wurde 2001 im Rahmen der Unternehmenssteuerreform grundlegend neu konzipiert.
Ebenso wenig scheitert die Anwendung des Motivtests im Verhältnis zur Schweiz an der Amtshilfeklausel des § 8 Abs. 2 S. 2 AStG. Denn nach der Revision des DBA Schweiz Ende 2011 erteilt die Schweiz Auskünfte im Rahmen der grossen Auskunftsklausel. Aber auch für Zeiträume vor Inkrafttreten des revidierten DBA Schweiz verhindert das Amtshilfeerfordernis nicht die Anwendung des Motivtests – sofern der Steuerpflichtige selbst Beweismittel für die tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit vorlegt.
Sofern eine natürliche Person die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft hält, eröffnet sich für die Anwendung des Motivtests zusätzlich der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit – aufgrund des zwischen der EU und der Schweiz bestehenden Freizügigkeitsabkommens. Der EuGH hat mit Urteil vom 28.2.2013 in der Rs. Ettwein (Az. C-425/11) entschieden, dass das Gleichbehandlungsgebot (Artikel 15 Abs. 1 des Freizügigkeitsabkommens) auch im Steuerrecht anzuwenden ist.
Damit wird der Spielraum des Gesetzgebers, mögliche Verletzungen des Freizügigkeitsabkommens zu rechtfertigen, deutlich eingeschränkt. Von der HZB mit Schweizer Kapitalgesellschaften erfasste Steuerpflichtige haben im Ergebnis die Möglichkeit, deren Anwendung unter Berufung auf die Kapitalverkehrs- und gegebenenfalls Niederlassungsfreiheit zu vermeiden. Insofern sie den Nachweis der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit erbringen können.
Potentielle Verfassungswidrigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung
Neben der potentiellen Europa-Rechtswidrigkeit im Verhältnis zu Drittstaaten bestehen auch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anwendung der HZB. Die wechselseitigen Verweise zwischen den Normen, die unklaren Bezüge und Verweise auf aufgehobene Vorschriften sowie die beinahe ständige Verwendung überlanger Sätze, Ausnahmen und Rückausnahmen stellen einen klaren Verstoss gegen das Gebot der Bestimmtheit und Klarheit dar.
Die mögliche Rechtfertigung als typisierender Ausnahmefall scheitert zumindest in Drittstaatenfällen am Fehlen einer hinreichenden Entlastungsmöglichkeit. Sodass im Ergebnis die HZB im Verhältnis zur Schweiz als verfassungswidrig angesehen werden kann.
Fazit und Ausblick
Durch die Regelungen der §§ 7-14 AStG werden wirtschaftlich sinnvolle Gestaltungen und Umstrukturierungen erfasst. Das passiert indem – insbesondere durch die zu weit gefassten Einschränkungen des Aktivitätskatalogs des § 8 Abs. 1 AStG – in der Schweiz aktiv tätige Gesellschaften als passiv qualifiziert werden.
Die durch den EuGH erzwungene Einführung des Motivtests für EU- und EWR-Staaten hat für die Mitgliedstaaten (die den Charakter einer Niedrigbesteuerung aufweisen) die Schranken des Aktivitätskatalogs entschärft. Diese sachgerechte Reaktion des deutschen Gesetzgebers soll jedoch im Verhältnis zu Drittstaaten – beispielsweise der Schweiz – nicht relevant sein. Ein vergleichbarer Sachverhalt zu einem Drittstaat würde weiterhin der belastenden HZB unterworfen werden – trotz erfolgreichem Motivtest.
Diese fiskalisch orientierte Vorgehensweise des deutschen Steuergesetzgebers wird möglicherweise durch die zukünftige Rechtsprechung der Finanzgerichte modifiziert. Dass sollte mit den vorstehenden Ausführungen verdeutlicht werden. Insbesondere in den Fällen einer HZB mit der Schweiz – bei denen ein «EU-kompatibler» Motivtest bejaht werden kann – ist es unter Berufung auf die Kapitalverkehrs- und gegebenenfalls Niederlassungsfreiheit unbedingt zu empfehlen, die entsprechenden Feststellungsbescheide bis zu einer höchstrichterlichen Klärung offen zu halten.
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