Abmahn-Unwesen in Deutschland
In Deutschland gibt es ein Phänomen, das in dieser Art in anderen Ländern kaum anzutreffen ist: Das Abmahn-Unwesen. Unjuristisch ausgedrückt handeln hier Abzocker, die unter dem Mäntelchen angeblicher Wahrung lauteren Wettbewerbs abmahnen. Für diese Abmahnung fordern sie Ersatz für die bei ihnen angefallenen Kosten. Besonders betroffen sind Online-Händler. Der Missbrauch solcher Abmahnungen ist in vielen Fällen evident und gefährdet oftmals massiv die Wirtschaftlichkeit des Online-Handels.
Hohe Kosten für kleinste Lappalien
Auffällig ist, dass sich viele Abmahnungen nicht etwa mit gravierenden Verstössen gegen lauteren Wettbewerb befassen, sondern systematisch Lappalien bemängeln – wie etwa das Fehlen von Angaben über Handelsregister- oder Steueridentifikationsnummern und sonstiger Angaben im Impressum. Da es für Unternehmen durchaus nicht einfach ist, den komplexen Anforderungen des Lauterkeitsrechts (ausgeformt von Literatur und Rechtsprechung), der Telemediengesetze oder etwa der Preisangabenverordnung stets und in jeder Einzelheit genüge zu tun, kann schon der kleinste Fehler zu einer Abmahnung führen. Unterwirft sich der Abgemahnte, werden hohe Kosten fällig. Bei einem wiederholten «Verstoss» fallen zusätzlich Vertragsstrafen und wiederum Kostenerstattungsansprüche an. Diese können den Online-Händler empfindlich treffen und sind dem Abmahner eine willkommene Einkommensquelle.
Klarstellung
An dieser Stelle wird nicht auf die Techniken und die dahinterliegende – offensichtliche – gebührenrechtliche Motivation der Abmahner eingegangen. Auch die Bemühungen, den Missbrauch von Abmahnungen einzudämmen, sollen hier ausser Betracht bleiben. Im vorliegenden Zusammenhang wird nur dargelegt, dass ein zentraler Anreiz für den Abmahnmissbrauch darin liegt, dass es bei Online-Handel einen sogenannten «fliegenden Gerichtsstand» für die Auseinandersetzung über die angebliche Wettbewerbsverletzung gibt.
Fragen der internationalen Zuständigkeit bleiben ebenso unberücksichtigt wie die örtliche Zuständigkeit nach anderen Vorschriften als dem deutschen Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG). Er befasst sich auch nicht mit den zahlreichen sonstigen geplanten Massnahmen des Gesetzentwurfs zum Eindämmen unseriöser Praktiken.
Das deutsche Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb
Das UWG besagt aktuell, dass eine rechtliche Auseinandersetzung über eine angebliche Wettbewerbsverletzung am Ort der wettbewerbswidrigen Handlung vor einem Gericht zu verhandeln ist. Da im Online-Handel die Wettbewerbsverletzung überall dort als begangen angesehen wird, wo ein potentieller Kunde die entsprechende Website des Händlers aufrufen kann, sind die Möglichkeiten für Abnahmer unbegrenzt. Er kann einen Online-Händler, der die Abgabe einer strafbewehrten und kostenpflichtigen Unterlassungserklärung verweigert, praktisch an jedem Gericht in Deutschland verklagen – oder eine einstweilige Verfügung beantragen, wie in Wettbewerbssachen üblich.
Auf das Interent kann man von überall her zugreifen. Findet die Verletzungshandlung online statt – zum Beispiel ein nicht den Vorgaben des Telemediengesetzes entsprechendes Impressum auf einer Website – ist für einen Mitbewerber bei jedem deutschen Landgericht ein Gerichtsstand eröffnet.
Von Abmahnanwälten und lukrativen «Kostenerstattungen»
Das UWG ermöglicht einem Kläger damit, sich auszusuchen, wo er den von ihm gerügten Verstoss gerichtlich verfolgen will. Abmahnanwälte wählen häufig bestimmte Gerichte, denen der Ruf vorauseilt, an den Erlass einer einstweiligen Verfügung keine besonders hohen Anforderungen zu stellen – oder einen besonders hohen Streitwert festzusetzen. Das führt dann zu einer besonders lukrativen «Kostenerstattung». Die Wahl eines weit entfernten Gerichtes erschwert die Verteidigung des Angemahnten zusätzlich. Der «fliegende Gerichtsstand» ist daher in der Praxis zum Regelfall geworden, während der Gerichtsstand am Sitz des Beklagten hier nur noch eine sehr untergeordnete Rolle spielt.
Gesetzentwurf gegen unseriöse Geschäftspraktiken des Bundesministers der Justiz
Aus diesem Grunde gibt es Bestrebungen den fliegenden Gerichtsstand für Klagen und Verfügungen gegen deutsche Online-Händler in einem Gesetzentwurf zu beseitigen (Entwurf eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken des Bundesministers der Justiz). Klagen gegen Online-Händler müssen – wie sonst auch – am Wohn- oder Geschäftssitz des Beklagten erhoben werden. Sollte das Gesetz in Kraft treten, so wird der Abmahnmissbrauch nicht verhindert, aber dennoch unattraktiver. Insoweit wird dann die Waffengleichheit der Parteien wiederhergestellt.
Der Gesetzentwurf sieht zur Eindämmung einiger unseriöser Geschäftspraktiken in den Bereichen Inkassowesen, Telefonwerbung und Abmahnwesen bestimmte Verbotstatbestände vor: Verringerung finanzieller Anreize, mehr Transparenz sowie neue oder schärfere Sanktionen. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich nur mit der vorgesehenen Neufassung des § 14 Abs. 2 UWG.