Die Tätigkeit deutscher Arbeitnehmer in der Schweiz wie auch umgekehrt von Schweizer Arbeitnehmern in Deutschland hat grosse wirtschaftliche Bedeutung. Dabei gibt es zunehmend auch Arbeitnehmer, die beidseits der Grenze arbeiten. Bei diesen grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen sind die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Aspekte im Detail zu beachten, da ansonsten unschöne Überraschungen drohen.
Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse Schweiz/Deutschland
Bei der Beurteilung der Steuerfolgen von grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen ist im ersten Schritt zu prüfen, ob die Ansässigkeit (unbeschränkte Steuerpflicht) in Deutschland oder in der Schweiz liegt. Dies hat u.a. auch auf die Besteuerung von Arbeitstagen ausserhalb von Deutschland oder der Schweiz Einfluss. Gemäss Art. 15 Abs. 1 des DBA CH-D ist der Staat berechtigt das Erwerbseinkommen zu besteuern, in welchem die Ansässigkeit liegt, ausser die Arbeit wird im anderen Staat ausgeübt. Ist beispielsweise eine Person in Deutschland wohnhaft, aber in der Schweiz erwerbstätig, kann im Grundsatz die Schweiz das Erwerbseinkommen besteuern. Nachfolgend werden einige Spezialfälle beleuchtet:
2.1 Leitende Angestellte (Art. 15 Abs. 4 DBA)
Im erwähnten Absatz des DBA ist festgehalten, dass das Erwerbseinkommen von Personen, welche in einem Vertragsstaat ansässig, aber als leitende Angestellte im anderen Vertragsstaat erwerbstätig sind, im Sitzstaat des Arbeitgebers besteuert werden. Dies unter der Voraussetzung, dass die Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht so ausgestaltet ist, dass sie lediglich Aufgaben ausserhalb des Sitzlandes des Arbeitgebers umfasst.
Als leitende Angestellte gelten Vorstandsmitglieder, Direktoren, Geschäftsführer, Prokuristen, stellvertretende Direktoren und Vize- sowie Generaldirektoren. Wichtig ist diesbezüglich, dass im Handelsregister eine Eintragung mit Prokura oder Funktion erfolgt. Die Besteuerung als leitender Angestellter kann für Personen mit Wohnsitz in Deutschland und Tätigkeit für eine Schweizer Gesellschaft sehr interessant sein, da unabhängig davon, ob die Tätigkeit in Deutschland, der Schweiz oder in Drittstaaten ausgeübt wird, die Besteuerung des Erwerbseinkommens ausschliesslich in der Schweiz erfolgt. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Grenzgängerregelung nicht anwendbar ist.
2.2 Grenzgänger (Art. 15a DBA)
Die Grenzgängerbestimmungen gemäss Art. 15a DBA gehen dem oben Ausgeführten vor. Grenzgänger versteuern das Erwerbseinkommen im Wohnsitzstaat, der Arbeitsortsstaat kann aber eine Quellensteuer von 4.5 % einbehalten. Bei Grenzgängern mit Wohnsitz Deutschland wird diese in der Schweiz einbehaltene Steuer in Deutschland angerechnet. Liegt der Wohnsitz in der Schweiz und die Person pendelt für die Erwerbstätigkeit nach Deutschland, so reduzieren die Schweizer Steuerbehörden das Erwerbseinkommen um 20 % (Bemessung), damit keine Doppelbesteuerung entsteht.
Als echte Grenzgänger gelten Personen, welche täglich für die Erwerbstätigkeit über die Grenze zum Arbeitsort pendeln und am Abend wieder an den Wohnort zurückkehren. Findet aus beruflichen Gründen mehr als 60 Tage pro Kalenderjahr keine Rückkehr statt, so entfällt die Grenzgängerregelung. Berufliche Gründe werden dann angenommen, wenn die Entfernung bzw. Fahrtzeit zwischen Wohn- und Arbeitsort gewisse Grenzen übersteigt.1
2.3 Monteurklausel (Art. 15 Abs. 2 DBA)
Die sog. Monteurklausel bezweckt, dass kurze Tätigkeiten im Nicht-Wohnsitzstaat nicht zu einer Besteuerung im Tätigkeitsstaat führen. Die Voraussetzungen sind, dass sich der Arbeitnehmer nicht länger als 183 Tage im anderen Staat aufhält (innerhalb von zwölf Monaten) und die Vergütungen nicht von einem Arbeitgeber oder einer Betriebsstätte im Tätigkeitsstaat bezahlt werden (die Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein).
Im Folgenden soll ausschliesslich auf die Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union eingegangen werden, welches für Personen anwendbar ist, welche die schweizerische und/oder eine EU-Staatsangehörigkeit besitzen:
Die Sozialversicherungsunterstellung soll, auch wenn die Erwerbstätigkeit in zwei Staaten ausgeübt wird, nur in einem Staat erfolgen. Kurz zusammengefasst und ohne auf Spezialfälle einzugehen, gilt bei den Sozialversicherungen das Erwerbsortsprinzip (Arbeitsortsstaat), ausser die Tätigkeit wird zu mind. 25 % im Wohnsitzstaat ausgeübt. Liegt eine selbständige und unselbständige Tätigkeit in verschiedenen Staaten vor, gelten die Rechtsvorschriften desjenigen Staates, in welchem die unselbständige Tätigkeit ausgeübt wird. Zu beachten diesbezüglich ist, dass zum Teil verschiedene Auslegungen bezüglich selbständiger und unselbständiger Tätigkeiten in den zwei Staaten vorliegen (z.B. VR-Honorare).
Sofern Grenzgänger zumindest einmal wöchentlich an ihren Tätigkeitsort pendeln, bleiben sie Grenzgänger und die bisherige Besteuerung damit unverändert. Da diese sich ohnehin nach dem Wohnsitz richtet, gäbe es – steuerlich gesehen – selbst bei einer dauerhaften 100%igen Homeofficetätigkeit und einem damit verbundenen Wegfall der Grenzgängereigenschaft keine finanziellen Auswirkungen. In diesem Fall dürfte der Tätigkeitsstaat dann allerdings keine 4.5 % Quellensteuer mehr einbehalten.
Aus deutscher Sicht bleibt es bei einer vorübergehenden ganz oder teilweisen Homeofficetätigkeit im Wohnsitzstaat gleichwohl bei einer Sozialversicherungspflicht im Tätigkeitsstaat. Nach deutscher Rechtsauffassung bedeutet «vorübergehend» einen Zeitraum von max. 24 Monaten (Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004). Diese Auffassung gilt in der Corona-Pandemie, aber auch unabhängig hiervon. Die Schweiz stellt hingegen auf das vereinbarte Abkommen für die flexible Anwendung der Unterstellungsregeln während der Pandemie ab, das gegenüber Deutschland nur bis zum 31. Dezember 2021 gilt. Es spricht einiges dafür, dass auch die Schweiz bei einer vorübergehenden Verlängerung der wesentlichen Homeoffice-Tätigkeit über den 31. Dezember 2021 hinaus weiterhin von einer Versicherungspflicht der Grenzgänger in der Schweiz bis zu 24 Monaten ausgeht, weil die entsprechende EU-VO auch für die Schweiz gilt.
Wir begleiten Sie in Rechts- und Steuerfragen im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr.
Fall 1 – Arbeitgeberin in der Schweiz, Arbeitnehmerin vorwiegend in Deutschland
Paula Moser, welche mit ihrer Familie in München wohnt, hat eine Tätigkeit in der Schweiz bei der Consulting AG in Zürich aufgenommen. Sie arbeitet vier Tage von Zuhause aus, am Montag geht sie jeweils nach Zürich für Sitzungen und Besprechungen ins Büro.
Steuerlich gilt: Der Wohnsitzstaat Deutschland hat das Besteuerungsrecht und zwar auch für den Tag, der physisch in der Schweiz geleistet wird. In der Schweiz erfolgt ein Quellensteuerabzug von 4.5 %, welcher in Deutschland angerechnet wird (die Grenzgängereigenschaft bleibt durch den einen Tag im Büro erhalten)2.
Da die Tätigkeit mehrheitlich im Wohnsitzstaat ausgeübt wird, ist Frau Moser in Deutschland der Sozialversicherung unterstellt. Die Consulting AG hat somit das gesamte Erwerbseinkommen mit der deutschen Sozialversicherung abzurechnen.
Fall 2 – Arbeitgeberin in der Schweiz, Arbeitnehmerin vorwiegend in der Schweiz
Frau Moser (siehe Fall 1) macht in der Schweiz einen tollen Job. Aus diesem Grund wird sie befördert. Aufgrund der Beförderung und der Teamleitung entscheidet sie sich, nur noch einen Tag pro Woche in Deutschland zu arbeiten und in Zürich eine kleine Wohnung zu mieten, um die restlichen vier Tage vor Ort bei der Consulting AG tätig zu sein.
Die Schweiz hat nun das Besteuerungsrecht für 4/5 (4 Tage) vom Erwerbseinkommen, da Frau Moser sog. Wochenaufenthalterin ist, ein Tag wird in Deutschland besteuert. In der Schweiz ist zu prüfen, ob sie die zusätzlichen Kosten für den internationalen Wochenaufenthalt steuerlich geltend machen kann, da sie der Quellensteuer unterliegt. Sofern sie als «Quasi-Ansässige» gilt, kann sie eine nachträgliche ordentliche Veranlagung (bis Ende März des Folgejahres) beantragen. Zu beachten ist aber, dass mindestens 90 % der weltweiten Bruttoeinkünfte in der Schweiz steuerpflichtig sind. Bei dieser Limite wird ein allfälliges Erwerbseinkommen des Ehemanns (bzw. hypothetische Eigenmietwerte) in Deutschland ebenfalls mitberücksichtigt. Wird die Schwelle von 90 % nicht erreicht, so können grundsätzlich die zusätzlichen Kosten in der Schweiz (Wochenaufenthalt) bzw. allfällige freiwillige Vorsorgebeiträge (Säule 3a, Pensionskasseneinkauf) steuerlich nicht geltend gemacht werden.
Sozialversicherungstechnisch kippt nun die Unterstellung in die Schweiz, da 80 % der Tätigkeit im Erwerbsortstaat ausgeübt wird. Frau Moser ist in der Schweiz den Sozialversicherungen unterstellt.
Fall 3 – Beförderung in die Geschäftsleitung
Nach ein paar Jahren wird Paula Moser in die Geschäftsleitung befördert. Sie wird Geschäftsführerin und erhält Kollektivprokura im Handelsregister. Ihre Tätigkeit ist neu so ausgestaltet, dass sie einen Tag im Homeoffice tätig ist (München), zwei Tage in Zürich und zwei Tage unterwegs in Deutschland oder in Drittstaaten.
Da sie nun leitende Angestellte ist, die mehr als 60 Tage in der Schweiz übernachtet, hat die Schweiz das Besteuerungsrecht für das gesamte Erwerbseinkommen auch für Drittlandstage. Deutschland hat das Erwerbseinkommen in der Schweiz unter Progressionsvorbehalt freizustellen.
Bei der Sozialversicherung ist wiederum zu prüfen, ob neu mind. 25 % der Tätigkeit (Homeoffice-Tag und Tage unterwegs in Deutschland) im Wohnsitzstaat ausgeübt werden. Falls ja, erfolgt die Unterstellung wieder in Deutschland, falls nein in der Schweiz.
Fall 4 – Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz (neue Ausgangslage)
Thomas Weber (verheiratet, erwachsene Kinder) nimmt eine Erwerbstätigkeit in Zug auf und verlegt seinen Wohnsitz in die Schweiz, wo er eine geräumige Wohnung mietet. Die Ehefrau verbleibt, aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in Deutschland, im Wohneigentum in Deutschland. Die Eheleute treffen sich regelmässig an den Wochenenden, abwechselnd in Deutschland oder in der Schweiz. Herr Weber hat sich in Deutschland steuerlich und zivilrechtlich abgemeldet resp. in der Schweiz angemeldet und geht davon aus, dass in Deutschland keine Steuerpflicht mehr vorliegt.
Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit ist er viel in Europa unterwegs. Er gilt nicht als leitender Angestellter gem. Art. 15 Abs. 4 DBA. In der Schweiz erfolgt durch die Arbeitgeberin der Quellensteuerabzug auf dem gesamten Erwerbseinkommen, da eine B-Bewilligung vorliegt und die Arbeitgeberin davon ausgeht, dass er in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig ist.
In diesem Fall könnte es nach ein paar Jahren zu einem bösen Erwachen kommen. Wie einleitend erwähnt, ist bei grenzüberschreitenden Erwerbstätigkeiten immer die Ansässigkeit im Detail zu klären. Da die Ehefrau weiterhin in Deutschland in der gemeinsamen Wohnung, im gemeinsamen Eigenheim, lebt, könnten sich die deutschen Steuerbehörden durchaus auf den Standpunkt stellen, dass die Ansässigkeit und die unbeschränkte Steuerpflicht bei Thomas Weber in Deutschland verbleibt. Dies hätte steuerlich zur Folge, dass die Tage, welche ausserhalb der Schweiz geleistet werden, Deutschland zur Besteuerung zugewiesen würden. In Deutschland könnte auch Jahre später noch nachträglich die Einkommensteuer für diese Tage erhoben werden.
Würde es sich hingegen vorliegend um einen leitenden Angestellten handeln, so würde das Besteuerungsrecht für das gesamte Erwerbseinkommen ausschliesslich in der Schweiz verbleiben.
Bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen sind die Konsequenzen bezüglich Steuern und Sozialversicherung vorgängig im Detail zu prüfen und zu klären. Allenfalls könnten mit der Gestaltung von leitenden Angestellten steuerliche Vorteile erzielt werden. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist, nicht nur bei Home-Office-Fällen, die Prüfung, ob durch die Ausübung der Tätigkeit im anderen Land eine Betriebsstätte begründet wird (siehe hierzu den Artikel von Nadia Tarolli / Winfried Ruh).
1 Laut Konsultationsvereinbarung vom 12.10.2018: Kürzeste Strassenentfernung grösser 100 km oder einfache Fahrt im ÖPNV länger als 1,5 Stunden.
2 Ein Tag pro Woche ist ausreichend für Grenzgänger- eigenschaft, BFH BStBl I 1994, 685.