Die deutsche Finanzverwaltung hat am 14.07.2021 in den „Verwaltungsgrundsätzen Verrechnungspreise“ (VWG-VP)2 ausführlich zur (erstmaligen offiziellen) Anwendung der OECD-Verrechnungspreis-Richtlinien (VPRL) Stellung genommen. Zudem wurden die Mitwirkungspflichten im Rahmen der Verrechnungspreis-Dokumentation (VP-Doku) in den „Verwaltungsgrundsätzen“ (VWG)3 vom 03.12.2020 neu gefasst. Beide für die deutsche VP-Praxis sehr wichtige Veröffentlichungen werden nachfolgend unter Berücksichtigung der deutschen Betriebsprüfungspraxis erläutert.
Massgeblichkeit der OECD-Verrechnungspreis-Richtlinien
Die Bestimmung fremdüblicher VP richtet sich nach dem international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz.4 Dessen Umsetzung erfolgt über international anerkannte VP-Methoden auf Basis von Fremdvergleichswerten, die über eine Vergleichbarkeitsanalyse auf Basis einer Funktions-, Risiko- und Wertschöpfungsanalyse5 an die „tested party“ anzupassen sind. Für dessen Umsetzung sind nun auch aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung die VPRL massgeblich.6
Kostenaufschlagsmethode als führende Verrechnungspreismethode in der Praxis
In der deutschen VP-Praxis ist die Kostenaufschlagsmethode die mit Abstand am häufigsten angewandte VP-Methode.7 Dabei wird ein fremdüblicher Gewinnaufschlag8 auf die Vollkosten erhoben (ohne Berücksichtigung von Shareholderkosten). Deren Ermittlung erfolgt in der Praxis weit überwiegend auf Istkostenbasis, was aber zur Vergütung von Unwirtschaftlichkeiten führen kann. Aus diesem Grund wird in der überwiegenden Kommentierung eine Anwendung auf Plankostenbasis mit einem sich anschliessenden Soll-Ist-Vergleich befürwortet.9
Zunehmende Anwendung der Transactional Net Margin Method (TNMM)
Die TNMM vergleicht den Nettogewinn einzelner Transaktionen mit solchen vergleichbarer Dritter und stellt die in der Internationalen Praxis am häufigsten verwendete Methode dar. Aufgrund der in der Praxis kaum verfügbaren transaktionsbezogenen Fremdvergleichswerte erlauben die VPRL eine Gesamtunternehmensbetrachtung unter Betonung des Kriteriums der Vergleichbarkeit.10 Die mit der TNMM verbundenen Year-End-Anpassungen hat die deutsche Finanzverwaltung nun erstmals anerkannt.11 Diese können aber zu einer nachträglichen Erhöhung des Zollwerts führen.12 Gerade für den Mittelstand stellt sich die Frage, ob die TNMM aus Vereinfachungsgründen auch auf Basis verfügbarer typischer Referenzwerte ohne aufwändige Datenbankanalysen anwendbar ist.13
Profit Split Methode (PSM) als alternative wertschöpfungsorientierte Methode
Nachdem die OECD die Anwendung der PSM auch für aufeinanderfolgend ausgeübte Funktionen als möglich erachtet hat, ist deren Anwendungsspielraum insbesondere für Liefergeschäfte gestiegen. Dabei erfolgt die Aufteilung eines gemeinsam erzielten Gewinns häufig auf Basis des Wertschöpfungsbeitrags der beteiligten verbundenen Unternehmen, womit die Funktions- und Risikoverteilung besser abgebildet wird. Nachteilig ist der Ermessensspielraum bezüglich des Gewinnaufteilungsschlüssels, der bei nicht ausreichender Dokumentation in Betriebsprüfungen (BP) beanstandet wird. Anwendungsfälle der PSM sind die Überlassung / Verwendung von wertvollem IP, Digital Economy, Financial Services, Global Trading, dezentrale F+E-Funktionen z.B. bei Produkt- und Softwareentwicklung oder allgemein bei nicht verfügbaren Fremdvergleichswerten.14
Umfang der Dokumentationspflichten für das Local File
Die deutschen Dokumentationspflichten für VP im Rahmen des Local File15 müssen dem Prüfer einen Einblick in die VP-Situation der Unternehmensgruppe innerhalb eines angemessenen Zeitraums ermöglichen.16 Einzelheiten hierzu sind aus Schaubild 1 ersichtlich, wobei darauf hinzuweisen bleibt, dass bei fehlenden Fremdvergleichswerten eine Dokumentation auf Basis von (internen oder externen) Fremdvergleichsdaten oder Plandaten möglich ist.17
Zusätzlich sind in besonderen Fällen Aufzeichnungen erforderlich wie z.B. bei Änderungen bei den Funktionen/Risiken und der Geschäftsstrategie (einschliesslich von Funktionsverlagerungen18), Dauerverlusten oder zu VP-Zusagen/-Anpassungen ausländischer Finanzbehörden.19 Schliesslich sind ggf. noch Angaben zur Verwendung von Datenbankstudien erforderlich.20
Verschärfung der Mitwirkungspflichten durch Vorlagepflicht für E-Mails
Die Mitwirkungspflichten im Rahmen des Local File wurden in den VWG verschärft, indem eine Vorlagepflicht für elektronische Nachrichten und Gutachten vorgesehen ist, mit dem Ziel der Überprüfung der Entscheidungsbefugnis im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse.21 Die Kommentierung lehnt die Vorlagepflicht als zu pauschal und unverhältnismässig ab und sieht diese nur im Ausnahmefall zur Sachverhaltsaufklärung als gerechtfertigt an.22
Wie bisher ist die VP-Doku innerhalb von 60 Tagen nach Anforderung durch die BP vorzulegen. Für aussergewöhnliche Geschäftsvorfälle (u.a. Abschluss/Änderung langfristiger Verträge, Vermögensübertragungen bei Umstrukturierungen, Strategieänderungen oder Abschluss von Umlageverträgen) verkürzt sich die Vorlagefrist auf 30 Tage. Zudem sind diese zeitnah zu dokumentieren.23
Weitere Dokumentationspflichten für grössere Unternehmen
Grössere Unternehmen haben eine erweiterte Stammdatendokumentation (Master File) zu erstellen. Diese soll einen „Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe und über die von ihr angewandte Systematik der Verrechnungspreisbestimmung“ geben.24
Zudem besteht für grössere multinationale Unternehmen – analog zur Situation in der Schweiz – die Verpflichtung zur Erstellung eines Country-by-Country-Reportings mit Angaben aus dem Konzernabschluss, die im Rahmen eines Informationsaustauschs an andere Finanzverwaltungen übermittelt werden.25
Besonderheiten für Vertriebsgesellschaften
Anlaufverluste deutscher Vertriebsgesellschaften ausländischer Unternehmen sind in der BP-Praxis im Hinblick auf die Fremdüblichkeit der VP häufig ein Streitpunkt. Dies vor dem Hintergrund, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) typische Anlaufverluste nur für einen Zeitraum von drei Jahren anzuerkennen sind und innerhalb von fünf Jahren ein Totalgewinn verlangt wird. Andernfalls gelten die vereinbarten VP als unangemessen, es sei denn, es wird der Nachweis erbracht, dass betriebliche Gründe (z.B. Managementfehler, Forderungsverluste oder schwierige Marktverhältnisse) oder die Unternehmensstrategie (Markterschliessung) für die Verlustsituation verantwortlich sind.26 Aus diesem Grund sehen die Dokumentationspflichten bei sog. „Dauerverlusten“ Angaben zu den Verlustursachen und zu Massnahmen für deren Beseitigung vor.27