Schiedsgerichtsbarkeit in Zeiten von Corona
16. Feb 2021, Recht & Steuern

Schiedsgerichtsbarkeit in Zeiten von Corona

Einer der Vorteile von Schiedsgerichtsverfahren ist die Möglichkeit, das Verfahren vor dem Schiedsgericht individuell entsprechend der konkreten Bedürfnisse der Parteien zu gestalten. Solange die prozessualen Grundsätze der Gleichbehandlung der Parteien und des rechtlichen Gehörs gewahrt werden, ist die Verfahrensgestaltung frei.

So war es schon vor der Corona-Pandemie üblich, den Ablauf eines Schiedsverfahrens in einer Verfahrensmanagementkonferenz abzustimmen, die in der Regel per Telefonkonferenz, z.T. auch per Videokonferenz abgehalten wird. In dieser wird ein Zeitplan mit den Fristen für die Schriftsätze und dem Termin der mündlichen Verhandlung einvernehmlich festgelegt. In grösseren Fällen, in denen der Streitwert die Reisekosten rechtfertigt, finden solche Verfahrenskonferenzen auch in Anwesenheit aller Beteiligten statt, d.h. der Schiedsrichter, der Verfahrensbevollmächtigten der Parteien und, sofern gewünscht und in der Regel auch empfehlenswert, von Vertretern der Parteien selbst. Nach den Reiseeinschränkungen seit Beginn der Corona-Pandemie konnte insoweit auf die bisherige Praxis zurückgegriffen werden.

Mündliche Verhandlungen

Schwieriger wurde es hingegen für die mündlichen Verhandlungen. Wie in einem staatlichen Gerichtsverfahren besteht die traditionelle Vorstellung, dass die mündliche Verhandlung vor dem Schiedsgericht der Höhe- und Kulminationspunkt des Verfahrens in Anwesenheit aller Beteiligter ist. Auch werden in Schiedsverfahren häufiger Zeugen und Sachverständige gehört als vor staatlichen Gerichten.

In den ersten Monaten der Corona-Pandemie wurden wegen der erlassenen Reise- und Versammlungsbeschränkungen die mündlichen Verhandlungen zunächst meist um mehrere Monate verschoben. Es zeichnete sich aber bald ab, dass mehrfache Verschiebungen dem weiteren Verfahrensgang und insbesondere einem zeitnahen Abschluss des Schiedsverfahrens nicht förderlich wären.

Vor allem Schiedsbeklagte und deren Rechtsvertreter widersetzten sich aber einer mündlichen Verhandlung per Videokonferenz. Nur in einer solchen sei eine Zeugenbefragung sinnvoll durchzuführen. In einer Videokonferenz gingen wichtige Elemente verloren, die eine mündliche Verhandlung typischerweise ausmachten:

  • Das Verhalten eines Zeugen, so insbesondere seine nonverbalen Signale,
  • und die Reaktionen der Schiedsrichter auf die Äusserungen von Zeugen oder
  • Sachverständigen seien nicht beobachtbar.

Kann sich nun eine Partei einer «Verlegung» der mündlichen Verhandlung in eine Videokonferenz widersetzen? Hat sie einen Anspruch auf Durchführung der mündlichen Verhandlung mit physischer Präsenz aller Beteiligten? Die Beurteilung dieser Frage richtet sich nach der von den Parteien vereinbarten Schiedsgerichtsordnung, unter Vorbehalt der gesetzlichen Vorschriften in den anwendbaren Schiedsgesetzen.

ICC-Schiedsverfahren

Parteien, die sich einer mündlichen Verhandlung mittels Videokonferenz widersetzten, haben sich in ICC-Verfahren auf Artikel 26(1) der Schiedsgerichtsordnung der ICC (International Chamber of Commerce, Paris) berufen, der in der bis Ende 2020 noch geltenden Fassung wie folgt lautet:

«(1) Findet eine mündliche Verhandlung statt, so fordert das Schiedsgericht die Parteien rechtzeitig auf, an den von ihm festge- setzten Tag und Ort zu erscheinen.»

In der englischen Fassung ist die Formulierung noch etwas markanter: «... shall summon the parties to appear before it...».

Der ICC Court of Arbitration hat sehr schnell reagiert und Artikel 26(1) mit Wir- kung ab dem 1. Januar 2021 neu gefasst, sodass auch Verhandlungen per Videokonferenz die Voraussetzungen einer mündlichen Verhandlung erfüllen. Das Schiedsgericht darf nun, nach Beratung mit den Parteien und auf der Basis der relevanten Fakten und Umstände des Falles, entscheiden «that any hearing will be conducted by physical attendance or remotely by videoconference, telephone or other appropriate means of communication».

Schiedsgerichtsordnung Handelskammer Deutschland-Schweiz

In der Schiedsgerichtsordnung der Handelskammer Deuschland-Schweiz vom 1. Juli 2020 regelt Artikel 32(1) die mündliche Beweisverhandlung wie folgt:

«Nach Abschluss des Schriftenwechsels werden die Parteien in der Regel zu einer mündlichen Beweisverhandlung vorgeladen. Die Vorladung ist mit der Androhung zu verbinden, dass bei unentschuldigtem Ausbleiben einer Partei die mündliche Beweisverhandlung trotzdem durchgeführt wird und das Schiedsgericht die Beweise frei würdigt.»

Die Betonung liegt auf der Mündlichkeit. Von einer physischen Präsenz ist nicht die Rede. Unter der Schiedsgerichtsordnung der Handelskammer Deutschland-Schweiz hätte der Einwand, dass eine mündliche Verhandlung in physischer Anwesenheit aller Beteiligten stattzufinden habe, geringe Erfolgsaussichten.

Nach Artikel 14 der Schiedsgerichtsordnung der Handelskammer Deutschland-Schweiz können die Parteien den Sitz des Schiedsgerichts frei bestimmen. Unterlassen sie dies oder sind sie sich uneinig, so ist der Sitz des Schiedsgerichts Zürich. Durch die Wahl des Schiedsortes in einer Schiedsklausel wird das anwendbare Schiedsrecht bestimmt, das sowohl zwingende Vorschriften, die den Regeln in der Schiedsgerichtsordnung einer Schiedsinstitution vorgehen, als auch dispositive Vorschriften, von denen in der Schiedsgerichtsordnung abgewichen werden kann, enthält.

Schweizerisches Schiedsrecht

Das schweizerische Schiedsrecht schreibt weder eine mündliche Verhandlung vor noch äussert es sich sonst zur mündlichen Verhandlung. Für das Verfahren überlässt es dem Schiedsgericht und den Parteien weitestes Ermessen. Unabhängig vom gewählten Verfahren muss das Schiedsgericht in allen Fällen die gesetzlichen Mindestanforderungen gewährleisten, d.h. die Gleichbehandlung der Parteien sowie den Anspruch auf rechtliches Gehör in einem kontradiktorischen Verfahren (Artikel 182 Absatz 3 IPRG).

Deutsches Schiedsrecht

Gleiches gilt auch unter § 1042 Abs. 1 der deutschen ZPO, die bei der Wahl eines Schiedsortes in Deutschland zur Anwendung kommt. Im deutschen Schiedsrecht ist eine mündliche Verhandlung nicht zwingend vorgesehen. Gemäss § 1047 Abs. 1 dZPO entscheidet vorbehaltlich einer Vereinbarung der Parteien das Schiedsgericht, ob mündlich verhandelt werden soll oder ob das Verfahren auf der Grundlage von Dokumenten und anderen Unterlagen durchzuführen ist. Haben die Parteien die mündliche Verhandlung nicht ausgeschlossen, hat das Schiedsgericht eine solche Verhandlung in einem geeigneten Abschnitt des Verfahrens durchzuführen, wenn eine Partei es beantragt.

Dieser Wortlaut schliesst eine mündliche Verhandlung per Videokonferenz nicht grundsätzlich aus.

Entscheidung des OGH Österreich

Soweit ersichtlich hat nun der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) am 23. Juli 2020 als erstes oberstes Gericht über die Zulässigkeit einer per Videokonferenz durchgeführten mündlichen Verhandlung in Schiedsgerichtsverfahren entschieden (OGH 18 ONc 3/20s).

In diesem Fall hatten die Beklagten in einem Schiedsverfahren mit Sitz in Wien das Schiedsgericht wegen seiner Entscheidung abgelehnt, die mündliche Verhandlung per Videokonferenz durchzuführen. Zunächst hatte die VIAC (Vienna International Arbitral Centre) als Schiedsinstitution diesen Ablehnungsantrag zurückgewiesen. Darauf beantragten die Beklagten beim OGH die Ablehnung der Schiedsrichter. Aber auch der OGH hielt die behaupteten Ablehnungsgründe für unbegründet und wies den Antrag ab. Eine mündliche Verhandlung per Videokonferenz sei keine schwerwiegende Verletzung prozessualer Regeln und brächte keine andauernden und erheblichen Vor- oder Nachteile für eine Partei mit sich. Der OGH bezog sich in seiner Begründung auch ausdrücklich auf Artikel 6 der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK). Ein Schiedsgericht habe ein breites Ermessen, das Verfahren in der geeigneten Form zu organisieren und zu führen. Die bei einer mündlichen Verhandlung per Videokonferenz behaupteten Unzulänglichkeiten beständen nicht. Man könne ihnen durch technische Vorkehrungen Rechnung tragen.

Durch genaue Beobachtung des Zeugen und entsprechende Aufforderungen, z.B. mit der Kamera durch den Raum zu schwenken, könnte das Schiedsgericht feststellen, welche Dokumente ein Zeuge vor sich habe und ob sich neben dem Zeugen noch andere Personen im Raum befänden. Das Schiedsgericht sehe wegen der grösseren Nähe der Videoaufnahme auch, wenn der Zeuge Nachrichten auf seinem Mobiltelefon lese. Er könne auch aufgefordert werden, direkt in die Kamera zu schauen und z.B. seine Hände so zu halten, dass sie auf dem Bildschirm sichtbar seien. Auch in mündlichen Verhandlungen mit der Anwesenheit von Personen beständen gewisse Risiken der Beeinflussung eines Zeugen, z.B. in Pausen. Die Möglichkeiten zur Kontrolle eines Zeugen in Videokonferenzen würden z.T. sogar noch weiter gehen als die in einer mündlichen Verhandlung mit der physischen Anwesenheit der Beteiligten. Überdies bestände die Möglichkeit, die Beweisaufnahme bildlich aufzuzeichnen.

Fazit

Die wegen der Corona-Pandemie forcierte Nutzung bestehender technischer Hilfsmittel wie Videokonferenzen zur ordnungsgemässen Durchführung von mündlichen Verhandlungen unter Beachtung der verfahrensrechtlichen Anforderungen im Rahmen von Schiedsverfahren wirkt wie ein Katalysator für die Gestaltung von Schiedsverfahren. Während man nach dem Ende der Corona-Pandemie sicher wieder häufiger zu mündlichen Verhandlungen in physischer Anwesenheit aller Beteiligten zurückkehren wird, wird doch immer die Frage im Raum stehen, ob nicht Einvernahmen von Zeugen und Sachverständigen, Teile einer mündlichen Verhandlung oder gar selbst die gesamte mündliche Verhandlung effizienter elektronisch per Videokonferenz durchgeführt werden könnten. Neben dem Zeitargument sprechen hierfür oft auch die Reise- und Unterbringungskosten der Beteiligten.




Schliessen Button
Immer erstklassig informiert

Melden Sie sich für den Newsletter der Handelskammer Deutschland-Schweiz an.