Die Erosion der bestehenden bilateralen Abkommen setzt bereits ein, wie die Hersteller von Medizinprodukten beidseits der Grenze aktuell leidvoll erfahren müssen. Da die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen im Mai 2021 seitens der EU nicht mehr erfolgte, müssen nun Schweizer wie EU - Medtech Hersteller beim gegenseitigen Export neu ihre Produkte zertifizieren lassen, einen Bevollmächtigten Rechtsvertreter einsetzen und landesspezifische Etikettierungsvorschriften einhalten. Ein Schaden für die Unternehmen beidseits der Grenze.
 
In den nächsten Jahren veralten weitere Abkommen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Aktualisierung der EU – Maschinenrichtlinie, welche in den nächsten 2 Jahren erwartet wird; oder die Äquivalenzanerkennung im Datenschutz und vieles mehr, was z.T. seit Jahren blockiert ist. Da solche Aktualisierungen ständig in vielen Bereichen vorgenommen werden, ist damit zu rechnen, dass durch eine weitere mangelnde gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen, die Normenäquivalenz relativ schnell erodieren wird, mit entsprechenden negativen Kostenfolgen und zusätzlichen administrativen Belastungen für die am Wirtschaftsverkehr beteiligten Unternehmen. Und nicht zuletzt, die ungeklärte Assoziierung der Schweiz als Drittstaat beim EU - Forschungsrahmenprogramm, Horizon Europe, wirkt sich schon jetzt nachteilig auf die Innovations- und Forschungsstandorte beidseits der Grenze aus.
Für die Handelskammer Deutschland-Schweiz ist die zukünftige Ausgestaltung der Beziehungen Schweiz-EU von besonders grosser Bedeutung, da mit Deutschland, als wichtigstem Wirtschaftspartner der Schweiz, ein sehr intensiver Austausch stattfindet und die Verflechtung der Wirtschaft besonders eng ist.
 
Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz mit einem Handelsvolumen von rund 90 Mrd. CHF, d.h. Importe und Exporte von 300 Mio. CH täglich. Hinzu kommen noch einmal unternehmensnahe Dienstleistungen, die etwa 30% des Handelsvolumens betragen. Für Deutschland zählt die Schweiz zu den 10 wichtigsten Handelspartner. Sie liegt in der Rangliste nach Exporten auf Platz 9 und nach Importen auf Platz 7 und für die Schweiz ist Deutschland Wirtschaftspartner Nr. 1.
 
Mit dem Inkrafttreten der Bilateralen Abkommen im Jahr 2002 wurde der Schweizer Wirtschaft die Teilnahme am gemeinsamen Europäischen Binnenmarkt ermöglicht. Gleichzeitig spannte sich damit der Ordnungsrahmen für den modernen grenzüberschreitenden Wirtschaftsaustausch auf, der zu beidseitigem Vorteil, Schweiz / EU, seit vielen Jahren genutzt wird.
 
Heute spielen Wertschöpfungsketten von Gütern und Dienstleistungen im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr eine immer grössere Rolle und vertiefen die Verflechtung der Wirtschaft im internationalen Austausch. So betreffen zum Beispiel zwischen Deutschland und der Schweiz rund 60% der gehandelten Waren Rohstoffe, Halbfabrikate und Investitionsgüter. Hinzu kommen die verschiedensten Arten von unternehmensbezogenen Dienstleistungen, angefangen im Forschungs- und Entwicklungsbereich, die Planung, über das Transportwesen und die Montage bis zu den Personaleinsätzen, in der in alle Wirtschaftsprozesse hinwirkenden IT-Dienstleistungsbranche, welche ohne die Regelungen der Bilateralen Abkommen keinesfalls auf dem heutigen Niveau möglich wären.
 
Diese enge wirtschaftliche Verzahnung wäre ohne den freien Austausch von Produkten, dem Abbau von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen, dem freien Personenverkehr sowie der gegenseitigen Anerkennung von Prüfzertifikaten und Berufsqualifikationen nicht möglich gewesen. Der Erhalt und der Ausbau des gegenseitigen Marktzugangs und verlässliche Spielregeln sind deswegen zentral.
 
Die Handelskammer appelliert daher an beide Seiten, Schweiz und EU, dass der aktuelle Rückschritt in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU nicht dazu führen darf, dass die über Jahre mühsam erreichten Liberalisierungsschritte beim Marktzugang wieder rückgängig gemacht werden und zusätzliche neue Probleme im Wirtschaftsverkehr entstehen. Zudem gelte es die Belastung für die Aussenwirtschaft so gering wie möglich zu halten und gleichzeitig für die Fortentwicklung zukünftiger gemeinsamer Beziehungen Schweiz-EU offen zu bleiben.
 
Die im Zusammenhang mit dem gescheiterten Rahmenabkommen adressierten Herausforderungen und Anliegen für eine Fortentwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und EU sind nach wie vor aktuell und verlangen weiterhin nach einer verlässlichen Lösung.