Schweizer Bundesrat stärkt Konsumentenschutz im Onlinehandel
17. Dez 2014, Recht & Steuern | Schweizer Obligationenrecht

Schweizer Bundesrat stärkt Konsumentenschutz im Onlinehandel

Die Änderung des Schweizer Obligationenrechts für mehr Konsumentenschutz im Telefon- und Onlinehandel bedeutet eine neue logistische Herausforderung.

Schweizer Konsumenten kaufen gerne Produkte aus dem benachbarten Ausland ein, bevorzugt in Deutschland. Ein Grund ist häufig der attraktivere Preis oder schlichtweg die Tatsache, dass gewisse Produkte oder Marken in der Schweiz nicht erhältlich sind. Wie überall zeigt sich auch hier ein Trend zum Fernabsatzhandel – insbesondere zum E-Commerce.

Entsprechend sind die im Parlament aktuell behandelten Vorschläge zur Revision des Widerrufsrechts im Schweizer Obligationenrecht von grosser Relevanz für Anbieter von Konsumgütern im In- und Ausland.

Hintergrund: Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen

Das geltende Schweizer Obligationenrecht (OR) kennt nur ein generelles gesetzliches Widerrufsrecht der Konsumenten für sogenannte Haustürgeschäfte. Daneben bestehen Widerrufsrechte für einzelne Vertragstypen. Hingegen sieht das OR kein generelles Widerrufsrecht für Verträge vor, welche per Telefon oder Internet zustande kommen.

Seit Juni 2014 gilt in der EU ein allgemeines Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen sowie bei allen, ausserhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen – mit Ausnahmen. Angesichts der starken internationalen Ausrichtung des Onlinehandels wird es für den Schweizer Gesetzgeber umso wichtiger sein, hier ebenfalls eine entsprechende Regelung einzuführen. Schweizer Konsumenten sind dann nicht schlechtergestellt als die Konsumenten in der EU.

Hintergrund: Telefon- und Onlinehandel

Bereits 2006 wurde in der Schweiz eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche eine Ausdehnung des Widerrufsrechts auf Verträge verlangte, die via Telefon abgeschlossen wurden. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates kam in ihren Beratungen zum Schluss, dass generell für alle Fernabsatzgeschäfte ein erhöhtes Schutzbedürfnis der Konsumenten besteht. Entsprechend beantragte sie in ihrem Bericht 2013 die Einführung eines allgemeinen Widerrufsrechts für Konsumenten im gesamten Fernabsatzgeschäft. Der Ständerat als Erstrat hiess die entsprechende Vorlage im Juni 2014 gut.

Der Nationalrat ist zwar in seiner ersten Debatte zum Inhalt der Revision weitgehend dem Ständerat gefolgt, ist aber in teilweise sehr wichtigen Punkten vom Vorschlag des Ständerates abgewichen. Insbesondere ist umstritten, ob für alle Fernabsatzgeschäfte ein Widerrufsrecht gelten soll oder nur für solche via Telefon.

Entsprechend wird eine weitere Runde parlamentarischer Beratungen folgen. Aufgrund der teils knappen Mehrheiten in der vorherigen Runde sind die Debatten und Abstimmungen mit Spannung weiterzuverfolgen. Eine Angleichung an die Rechtslage in der EU mit einem allgemeinen Widerrufsrecht – auch im Onlinehandel – bleibt nach wie vor ein realistisches Szenario.

Vorgeschlagene Gesetzesrevision

Der aktuell im Parlament behandelte Entwurf der vorgeschlagenen Revision der Art. 40a ff. OR enthält folgende Hauptpunkte:

Konsumenten haben ein allgemeines Widerrufsrecht bei Fernabsatzgeschäften von 14 Tagen.

  • Als Fernabsatzgeschäft gilt ein Vertrag, welcher abgeschlossen wurde, ohne dass die Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses physisch am gleichen Ort anwesend sind. 
    • Entsprechend erfolgt der Austausch der Willenserklärung (Angebot und Annahme) durch Fernkommunikationsmittel, wie Telefon oder Internet. 
    • Bundesrat und Ständerat stimmten für eine Anwendbarkeit des Widerrufsrechts für alle Fernkommunikationsmittel. 
    • Im Nationalrat wurde das Widerrufsrecht (mit 95 zu 84 Stimmen) auf die Verwendung «telefonischer Verbindungen» beschränkt. Wie dieser Punkt schlussendlich geregelt wird, ist angesichts der knappen Abstimmungsergebnisse noch offen.
  • Das Widerrufsrecht ist auf Konsumenten beschränkt – das heisst, auf Personen, welche mit einem gewerblich tätigen Anbieter einen Vertrag für private oder familiäre Zwecke abschliessen.
  • Die vertragliche Wegbedingung oder Anpassung des Widerrufsrechts zum Nachteil des Konsumenten ist nicht zulässig.
  • Die Widerrufsfrist von 14 Tagen beginnt mit dem Empfang der Sache, sofern der Konsument vom Anbieter auch die notwendigen Informationen für die Ausübung des Widerrufsrechts erhalten hat.
  • Die Widerrufserklärung ist grundsätzlich in jeder Form möglich. 
    • Der Beweis des fristgemässen Widerrufs obliegt jedoch dem Konsumenten. 
    • Die Idee des Bundesrates zur Verwendung von Formularen drang weder im Ständerat noch im Nationalrat durch.

Die Gesetzesvorlage sieht folgende Ausnahmen vom Widerrufsrecht vor:

  • Es besteht kein Widerrufsrecht, wenn die Leistung des Konsumenten CHF 100 – beziehungsweise gemäss Nationalrat CHF 200 – nicht übersteigt (unter anderem Kaufpreis, Versandkosten, Gebühren, Steuern).
  • Welches Limit schlussendlich Anwendung finden wird, wird sich im Rahmen der weiteren parlamentarischen Debatten zeigen und Einfluss auf die Anzahl betroffener Geschäfte haben. 
  • Auch bei Verträgen, welche ein Zufallselement enthalten, besteht eine Ausnahme – zum Beispiel Preisschwankungen ausserhalb des Einflussbereichs des Anbieters, bei öffentlich beurkundeten Verträgen und bei Vertragsabschlüssen im Rahmen einer öffentlichen Versteigerung (je nach Ausgestaltung auch Online-Versteigerungen).
    • Ausgenommen sind auch Verträge über Waren, die nicht für die Rücksendung geeignet sind (zum Beispiel Lebensmittel, Medikamente oder Hygieneartikel) oder die nach Vorgaben des Konsumenten gefertigt beziehungsweise auf seine persönlichen Bedürfnisse massgeschneidert sind. 
    • Werden die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, sind auch verschiedene Dienstleistungen (wie Transport-, Gastronomie-, Tourismus- und Freizeitdienstleistungen oder Reparatur- und Instandstellungsarbeiten, Finanzdienstleistungen) sowie bestimmte digitale Produkte vom Widerrufsrecht ausgenommen.

Erlöschen des Widerrufsrechts:

Verschiedene Verhaltensweisen des Konsumenten bewirken ein Erlöschen des Widerrufsrechts, weil dadurch die Rückgabe oder Rücksendung praktisch unmöglich gemacht wird oder als unangemessen erscheint – zum Beispiel aus folgenden Gründen:

  • Unmöglich: erfolgte Erbringung der Dienstleistung, Vermischung oder Verbindung mit anderen Sachen
  • Unangemessen: Gebrauch der Sache, Abholung der Sache in den Geschäftsräumen des Anbieters, Entfernung der Siegelung bei Computersoftware oder digitalen Ton- und Videoaufnahmen. 

Der Nationalrat fügte zudem einen weiteren Erlöschensgrund für entsiegelte oder in Betrieb genommene Elektrogeräte ein. Dieser ist nun im Ständerat zu behandeln.

Die Hauptfolge des Widerrufs:

Diese besteht darin, dass die Willenserklärung des Konsumenten (Antrag oder Annahme) als von Anfang an unwirksam gilt – entsprechend ist eine Rückabwicklung durchzuführen.

  • Bereits empfangene Sachen sind zurückzugeben.
  • Bereits geleistete Zahlungen sind zurückzuerstatten. 
  • Die Kosten für die Rücksendung und die Wirkungen auf bereits erbrachte Teilleistungen und verbundene Verträge werden geregelt.

Fazit:

Neben diesen Änderungen im Allgemeinen Teil des Obligationenrechts sind auch spezifische Anpassungen der gesetzlichen Bestimmungen zum Auftrag zur Ehe- und Partnervermittlung sowie zum Konsumkredit vorgesehen.

Auswirkungen und Ausblick

Die Ausdehnung des Widerrufsrechts auf den Telefon- und insbesondere den Onlinehandel könnte einschneidende Folgen haben. Das gilt für Unternehmen, welche über diese Kanäle Waren an Konsumenten vertreiben. Gemäss dem Bericht der Rechtskommission des Ständerates werden primär die Bereiche Multimedia, Textilwaren und Wohneinrichtungen betroffen sein. In Deutschland sollen knapp zehn Prozent der Konsumenten vom Widerrufsrecht Gebrauch gemacht haben. Bei einer vergleichbaren Widerrufsrate wäre in der Schweiz ein Umsatzvolumen von rund CHF 425 Millionen betroffen.

Für die betroffenen Unternehmen bedeutet dies zusätzliche Kosten, welche jedoch je nach Branche, Produkt und Unternehmen unterschiedlich ausfallen dürften. Zudem wird es wichtig sein, durch gute Ausgestaltung der Abläufe bei der Abwicklung von Bestellungen (zum Beispiel vollständige Informationen zum Widerrufsrecht) und der Rücksendung (zum Beispiel automatische Mitlieferung von Rücksendeetiketten) die Kosten möglichst tief zu halten.

Die konkrete Relevanz für in der Schweiz tätige Unternehmen wird stark davon abhängen, wie die Debatte zu den noch offenen Punkten zwischen Stände- und Nationalrat ausgeht. Sollte das Widerrufsrecht auf Haustür- und Telefongeschäfte beschränkt bleiben und die Internetgeschäfte nicht mit umfassen, reduziert sich der Anwendungsbereich erheblich. Zudem würde ein höheres Limit von CHF 200 weitere Geschäfte ausschliessen.

Entsprechend sind die Ergebnisse der weiteren Beratungen im Parlament mit Spannung abzuwarten. Diese finden voraussichtlich in der Wintersession 2014 oder Frühjahrssession 2015 statt. Nach der Schlussabstimmung ist zunächst die Referendumsfrist von hundert Tagen abzuwarten. Sollte kein Referendum ergriffen werden, ist von einem Inkrafttreten per 1. Januar 2016 auszugehen.

(Bildquelle: © LDProd/iStockphoto)




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