Steuerrechtliche Sanierung von Kapitalgesellschaften in der Schweiz
23. Feb 2022, Wirtschaft | Besteuerung

Steuerrechtliche Sanierung von Kapitalgesellschaften in der Schweiz

Die Covid-19-Pandemie dürfte kurz- bis mittelfristig zu einem erhöhten Sanierungsbedarf von Kapitalgesellschaften führen. Der Artikel verschafft einen Überblick über steuerrechtliche Privilegien finanzieller Sanierungsmassnahmen und zeigt damit verbundene Fallstricke auf.

1. Steuerrechtlich anerkannte Sanierungsbedürftigkeit

Gemäss Kreisschreiben Nr. 32 «Sanierung von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften» der Eidg. Steuerverwaltung (EStV) vom 23. Dezember 2010 (KS 32 EStV) ist eine Kapitalgesellschaft im Sinne der Gewinnsteuer sanierungsbedürftig, wenn eine echte Unterbilanz vorliegt, das heisst, wenn Verluste bestehen und die Kapitalgesellschaft über keine offenen und/oder stillen Reserven verfügt, welche die ausgewiesenen Verluste abdecken.

Da für das KS 32 EStV eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise gilt, sind stille Reserven auf Aktiven und Passiven in die Beurteilung der steuerrechtlich anerkannten Sanierungsbedürftigkeit miteinzubeziehen.

Das Bundesgesetz über die Stempelabgaben (StG) stellt im Rahmen der Emissionsabgabe zur Feststellung einer Sanierungsbedürftigkeit hingegen ausschliesslich auf das Gesellschaftsrecht ab:

Nach Art. 6 Abs. 1 lit. j StG muss eine Kapitalgesellschaft einen hälftigen Kapitalverlust im Sinn von Art. 725 Abs. 1 OR aufweisen. Dieser liegt vor, falls die Hälfte des Grundkapitals sowie der gesetzlichen Reserven gemäss letzter Jahresrechnung nicht mehr gedeckt sind.

2. Finanzielle Sanierungsmassnahmen

Von steuerrechtlichen Privilegien profitieren ausschliesslich finanzielle Sanierungsmassnahmen. Darunter sind aus Sicht der sanierungsbedürftigen Kapitalgesellschaft von aussen zufliessende Leistungen zu verstehen, welche die Eigenkapitalstruktur der Gesellschaft stärken und aufgelaufene Verluste zu eliminieren vermögen. Dazu zählen insbesondere die

  • Entgeltlichen Kapitalerhöhungen;
  • Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital
  • Zuschüsse à fonds perdu;
  • Forderungsverzichte (definitiv; gegen Besserungs-/Genussschein) sowie die
  • Sanierungsfusion (Spezialform finanzieller Sanierung).
Bilanzielle Sanierungsmassnahmen wie die Aufwertung von Liegenschaften und Beteiligungen, die Auflösung von Rückstellungen, Gratis-Nennwert-Liberierungen (unentgeltliche Kapitalerhöhung; sog. «Gratisaktien») sowie Rangrücktritte, etc. stellen mangels entgeltlichem Leistungszufluss von aussen keine finanziellen Sanierungsmassnahmen dar.
3. Steuerprivilegien finanzieller Sanierungsmassnahmen und damit verbundene Fallstricke

3.1. Bundesgesetz über die Direkte Bundessteuer (DBG)

3.1.1. Privilegierung

Im Schweizer Gewinnsteuerrecht gilt grundsätzlich eine zeitlich beschränkte Verlustverrechnungsperiode von sieben Jahren (Art. 67 Abs. 1 DBG).

Falls eine steuerrechtlich anerkannte Sanierungsbedürftigkeit im Rahmen der Gewinnsteuer attestiert wird, profitiert die Kapitalgesellschaft im Rahmen von finanziellen, ertragswirksamen Sanierungsleistungen (sog. echte Sanierungserträge) von einer zeitlich unbeschränkten Verlustverrechnung (Art. 67 Abs. 2 DBG).

3.2.2. Fallstricke - Sanierungsfusionen

Im Rahmen von Sanierungsfusionen können bei der Verrechnungssteuer komplexe Steuerfolgen resultieren, obwohl Umstrukturierungen grundsätzlich steuerneutral möglich wären (Art. 5 Abs. 1 lit. a VStG).

3.1.2.1.Fallstrick – Abgrenzung echter/unechter Sanierungsertrag bei Forderungsverzichten

Echte Sanierungserträge sind steuerlich erfolgswirksam und profitieren von der zeitlich unbefristeten Verlustverrechnung. Unechte Sanierungserträge von nahestehenden Dritten hingegen qualifizieren als Kapitaleinlagen und unterliegen im Grundsatz der Emissionsabgabe.

Forderungsverzichte von Inhabern der Beteiligungsrechte stellen in folgenden beiden Fällen daher Kapitaleinlagen dar (unechter Sanierungsertrag):

  • wenn und soweit Gesellschafterdarlehen vor der Sanierung steuerlich als verdecktes Eigenkapital behandelt wurden;
  • Gesellschafterdarlehen, die erstmalig oder zusätzlich wegen schlechtem Geschäftsgang gewährt wurden und unter gleichen Umständen von unabhängigen Dritten nicht gewährt worden wären.

3.1.2.2. Fallstrick – Anwendung Dreieckstheorie

Die Sanierung einer notleidenden Kapitalgesellschaft ist gemäss Auffassung der EStV Sache des Aktionärs (KS 32 EStV, Ziff. 4.1.2. b und 4.3.2. b). In der Folge gelangt im Rahmen einer steuersystematischen Auslegung bei Sanierungsleistungen unter nahestehenden Dritten, welche dem Drittvergleich nicht standhalten, die Dreieckstheorie zur Anwendung.

Die Dreieckstheorie zerlegt den Leistungsfluss der direkt geleisteten Sanierungsmassnahmen zwischen nahestehendem Dritten und sanierungsbedürftiger Kapitalgesellschaft gedanklich in indirekt-fiktive Teil-Schritte, wobei entsprechende Steuerfolgen bei jedem involvierten Steuersubjekt eintreten.

3.1.2.3. Fallstrick – Steuerumgehung bei Sanierungsfusionen

Sanierungsfusionen stehen generell unter dem Vorbehalt der Steuerumgehung, wobei die Vermutung im Raum steht, dass die Fusion einzig das Ziel verfolgt, Verlustvorträge einer «erkrankten» Gesellschaft bei einer «gesunden» Gesellschaft zu verrechnen. Gemäss Bundesgericht liegt eine Steuerumgehung vor, wenn

  • sich die absorbierte Gesellschaft im liquidationsreifen Zustand befindet und keine sachlich-betriebswirtschaftlichen Gründe für die Umstrukturierung vorliegen,
  • der absorbierte Betrieb kurz nach der Fusion eingestellt wird oder
  • die absorbierte Gesellschaft im Zeitpunkt keine Geschäftstätigkeit mehr ausübt.

In diesen Fällen können die übernommenen Verlustvorträge der sanierungsbedürftigen Gesellschaft bei der «gesunden» Gesellschaft nicht verrechnet werden.

3.2. Bundesgesetz/Verordnung über die Verrechnungssteuer (VStG/VStV)

3.2.1. Keine Privilegierungen

Sanierungen sind im Verrechnungssteuergesetz nicht explizit geregelt und es bestehen keine Privilegierungen.

3.2.2. Fallstricke - Sanierungsfusionen

Im Rahmen von Sanierungsfusionen können bei der Verrechnungssteuer komplexe Steuerfolgen resultieren, obwohl Umstrukturierungen grundsätzlich steuerneutral möglich wären (Art. 5 Abs. 1 lit. a VStG).

Massgeblich in allen Fusions-Konstellationen und -Richtungen ist, ob in einer holistischen «Netto-Betrachtung» über die involvierten Rechtsträger hinweg, übrige Reserven untergehen, welche nicht als Kapitaleinlage-Reserven qualifizieren. Trifft dies zu, fällt grundsätzlich die Verrechnungssteuer an (allenfalls Meldeverfahren möglich (Art. 24 VStV/Art. 26a VStV)).

3.3. Bundesgesetz über die Stempelabgaben (StG)

3.3.1. Privilegierungen

Kapitalerhöhungen und Zuschüsse bis zur Höhe von CHF 1 Mio. unterliegen auch ausserhalb von Sanierungen grundsätzlich nicht der Emissionsabgabe, sofern diese entgeltlich erfolgen (Art. 6 Abs. 1 lit. h StG; bedingter Grund-Freibetrag).

3.3.1.1. Erweiterter Freibetrag bei Sanierungen

Bei offenen und stillen Sanierungen erhöht sich der Freibetrag bis zur Höhe von CHF 10 Mio. (Art. 6 Abs. 1 lit. k StG; bedingt erweiterter Freibetrag).

Unter einer offenen Sanierung ist die entgeltliche Kapitaleinbringung von Aktionären ins Grundkapital im Sinne von Art. 5 Abs. 1 StG zu verstehen (im Handelsregister ersichtlich). Eine stille Sanierung liegt bei à fonds perdu Zuschüssen von Aktionären in die gesetzlichen Reserven im Sinn von Art. 5 Abs. 2 lit. a StG vor.

Die Bestimmung zum bedingt erweiterten Freibetrag (Art. 6 Abs. 1 lit. k StG) setzt keine anerkannte Sanierungsbedürftigkeit im Sinne einer echten Unterbilanz, respektive von Art. 725 Abs. 1 OR voraus. Zentrale Voraussetzung für den erweiterten Freibetrag ist, dass die Einlagen der Aktionäre unmittelbar zur bilanziellen Verlustausbuchung verwendet werden.

Der erweiterte Freibetrag von CHF 10 Mio. steht nur einmalig zur Verfügung, kann jedoch auf mehrere Sanierungen aufgeteilt werden (KS 32 EStV, 3.3.2. c).

3.3.1.2. Kapitalisierung einer Auffang-Gesellschaft

Die Begründung oder Erhöhung von Beteiligungsrechten einer Auffang-Gesellschaft, welche Betriebe oder Teil-Betriebe einer sanierungsbedürftigen Kapitalgesellschaft übernimmt, ist von der Emissionsabgabe ausgenommen (Art. 6 Abs. 1 lit. j StG).

Voraussetzungen dieser Privilegierung sind der Kapitalverlust i.S.v. Art. 725 Abs. 1 OR der den Betrieb oder Teil-Betrieb abtretenden Gesellschaft sowie das Vorliegen eines Betriebes, respektive Teil-Betriebes. Der zur Anwendung gelangende (Teil-)Betriebsbegriff entspricht dabei jenem des KS Nr. 5 «Umstrukturie- rungen» der EStV vom 01.06.2004.

3.3.2. Fallstrick – Entgeltlichkeit der Begründung von Beteiligungsrechten

Vorsicht ist geboten bei der Begründung von Beteiligungsrechten (Kapitalerhöhungen) im Rahmen des bedingten Grundfreibetrages gemäss Art. 6 Abs. 1 lit. h StG aus gesetzlichen Gewinn-Reserven (sog. «Gratisaktien»):

Gratis-Nennwert-Erhöhungen profitieren mangels Entgeltlichkeit nicht vom Freibetrag von CHF 1 Mio. und unterliegen mit einem Abgabesatz von 1 % der Emissionsabgabe. Zudem unterliegt die Gratis-Liberierung der Verrechnungssteuer von 35 % (Art. 20 Abs. 1 VStV; allenfalls Meldeverfahren gemäss Art. 24 VStV möglich).

3.4. Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer (MWStG)

Finanzielle Sanierungsleistungen werden im Mehrwertsteuergesetz (MWStG) einzig unter dem Entgeltsbegriff erwähnt, wonach Einlagen, zinslose Darlehen sowie Sanierungsleistungen und Forderungsverzichte mangels (Gegen-)Leistung nicht als der MWSt unterliegende Entgelte qualifizieren (Art. 18 Abs. 2 lit. e MWStG).

4. Fazit

Sanierungen sind hochkomplexe, gesamtheitlich zu betrachtende Einzelfall-Zäsuren im zeitlichen Verlauf einer Kapitalgesellschaft. Eine Sanierung setzt sich regelmässig aus einem Regime von simultanen Einzel-Massnahmen zusammen, welche neben steuerrechtlichen Aspekten eine Vielzahl von Rechtsgebieten tangiert.

Den strategischen Organen obliegen bezüglich Sanierungen gesetzlich zwingende und unübertragbare Pflichten (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3/7 OR i.V.m. Art. 725 OR). Der Verwaltungsrat unterliegt der Organ-Haftung (Art. 754 OR). Der Beizug von Fach-Expertise ist daher zur Wahrung der Sorgfaltspflichten gegenüber den Gläubigern und Aktionären zu empfehlen.

Die Implementierung von Sanierungsmassnahmen setzt aus steuerrechtlicher Sicht in der Praxis meist die Einholung eines Steuer-Rulings durch einen qualifizierten Steuervertreter voraus, um Rechtsunsicherheiten bezüglich anerkannter Sanierungsbedürftigkeit sowie Qualifikation und Steuerfolgen der einzelnen Sanierungsmassnahmen im gesetzlichen Rahmen der einzelnen Steuerarten zu reduzieren.




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