Berufliche Integration und das Prinzip Hoffnung
3. Aug 2016, Finanzen | Krankenversicherung

Berufliche Integration und das Prinzip Hoffnung (1/3)

Sich im Kontext der Kollektiven Krankentaggeldversicherung über eine qualitativ gute Leistungsabwicklung zu differenzieren, ist heute fast aussichtslos. Es dominiert der Preis – also die Prämie –, egal ob sie risikogerecht kalkuliert ist oder nicht.

Viele Versicherer haben im Windschatten der 5. IV-Revision (in Kraft gesetzt per 1.1.2008), in Case Management investiert. Die meisten Risikoträger verfügen heute über Integrationsfachleute. Von der Anfangseuphorie rund um Case Management ist allerdings kaum etwas übrig geblieben.

Downsizing im Versicherungsbereich

Bei manchen Gesellschaften findet gar ein Downsizing statt. So zum Beispiel beim grössten Unfallversicherer der Schweiz, der Suva. Diese musste nach sechsjährige Beobachtungszeit darlegen, dass die Fälle im «New Case Management» in der Tendenz länger dauerten und sich gar verteuerten – verglichen mit Fällen, die weniger intensiv gesteuert wurden.

Das alles ist wenig erstaunlich, waren doch die Erwartungen gross und die Stimmung euphorisiert. Die Boston Consulting Group zum Beispiel erwartete Millionenbeträge, was das Einsparpotenzial für Versicherungsgesellschaften betrifft. Das als Studie bezeichnete Potpourri (The Boston Consulting Group, Case Management und seine strategische Bedeutung für Versicherer, 2010 ) zeigt, dass Papier nahezu alles erduldet. Die Autoren waren zahlreich und prominent. Auch die Versicherer selber trugen nicht unwesentlich zum Case Management-Hype bei. 

Bei Policen, die einen positiven Schadenverlauf aufweisen, fliesst ein Grossteil der Überschüsse zum Versicherungsnehmer zurück. Die Verluste jedoch bleiben vollständig beim Risikoträger. Es ist ein offenes Geheimnis, dass mit Lohnausfallversicherung heute kaum mehr Geld verdient wird.

Die 5. IV-Revision ist also längst Geschichte. Abgesehen davon, dass sie die Privatversicherer einiges gekostet hat, hat sich gleichsam viel und wenig verändert. Die CSS als eher kleiner KTG-Versicherer im Markt verzeichnet durchschnittliche Mindereinnahmen bei den IV-Rückflüssen von rund vier Millionen Schweizer Franken pro Jahr gegenüber früher.

Verschuldung der Invalidenversicherung

Die Invalidenversicherung vermochte die Neuberentungen zwar spürbar zu reduzieren, dennoch ist man Lichtjahre von einer Sanierung des Versicherungswerks entfernt – zumal Ende 2017 die Zusatzeinnahmen der befristeten Mehrwertsteuererhöhung wegfallen werden. Die Zahl der jungen Neurentnern infolge psychischer Störungsbilder ist weiterhin steigend. Bei den 20-24-Jährigen haben die Invalidisierungen in den letzten zwanzig Jahren im Durchschnitt um zwei Prozent zugenommen, bei den noch jüngeren sogar um sechs Prozent (BSV, Soziale Sicherheit, CHSS 01/2016). Das ist besorgniserregend und die Ursachen sind vielschichtig. Was bleibt, ist eine Verschuldung der Invalidenversicherung beim AHV-Fonds per Ende 2015 von stattlichen CHF 13 Milliarden und das Prinzip Hoffnung. 

Vom Mythos berufliche Integration

Alle reden von Integration, doch bei Lichte betrachtet weiss niemand so genau, wo man eigentlich zu integrieren gedenkt. Denn gerade der reale Arbeitsmarkt exkludiert diejenigen Menschen, die eigentlich im Fokus der integrativen Anstrengungen stehen – mehr und mehr. Der verschrobene Kauz beispielsweise, wird unter dem Einfluss der Digitalisierung sukzessive ausgemerzt. Und die Tausenden von Flüchtlingen, welche künftig auch in Lohn und Arbeit zu bringen wären, sind nicht mitgerechnet. Der Markt und die Arbeitgeber sollen es irgendwie richten. Niemand weiss genau, wie dies geschehen soll, doch das Mittel ist bekannt: Berufliche Integration.

Das alles ist wenig glaubhaft. Denn an der Krankschreibepraxis hat sich wenig bis nichts geändert. Eine Berufsgruppe imponiert weiterhin mit einem hohen Mass an Lernresistenz: die Ärzteschaft, vor allem die Psychiater. Dies ist von Interesse, weil es hierzulande sehr viele davon gibt – nämlich rund dreimal mehr pro 100‘000 Einwohner als im OECD-Durchschnitt und doppelt so viele wie in der BRD. Psychische Erkrankungen eignen sich besonders gut dazu – vulnerable Patientengruppen, respektive solche, die man dafür hält –, vor dem angeblich immer härter werdenden Arbeitsalltag zu schützen.

>> Zu Teil 1 der Artikelreihe: Berufliche Integration und das Prinzip Hoffnung (2/3)
>> Zu Teil 2 der Artikelreihe: Berufliche Integration und das Prinzip Hoffnung (3/3) 

(Bildquelle: © baona/iStockphoto)




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