Bilaterales Abkommen Schweiz-EU: Ein Erfolgsmodell
24. Feb 2016, Wirtschaft | Bilaterales Abkommen I

Bilaterales Abkommen Schweiz-EU: Ein Erfolgsmodell

Vor dem Hintergrund der Masseneinwanderungsinitiative und der Umsetzungsdiskussion sind gelegentlich auch Zweifel zu vernehmen – angesichts der grossen Bedeutung der Bilateralen Abkommen I der Schweiz mit der Europäischen Union für die Schweizerische Wirtschaft.

Der Blick auf die Quantität und die Qualität des wirtschaftlichen Austauschs schafft schnell Klarheit: Die EU ist die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz – sowohl was die Import- als auch die Exportseite betrifft.

  • 55 Prozent der Exporte der Schweizer Wirtschaft fliessen in die Länder der EU
  • 73 Prozent der Importe stammen von Ländern der EU
Bilateralen Abkommen 2002

Mit dem Inkrafttreten der Bilateralen Abkommen im Jahr 2002 wurde der Schweizer Wirtschaft die Teilnahme am gemeinsamen Europäischen Binnenmarkt ermöglicht.

Gleichzeitig spannt sich damit der Ordnungsrahmen für den modernen grenzüberschreitenden Wirtschaftsaustausch zwischen unseren Ländern auf. Heute spielen sogenannte fragmentierte Wertschöpfungsketten im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr eine immer grössere Rolle. So betreffen zum Beispiel zwischen Deutschland und der Schweiz 58,4 Prozent der gehandelten Waren Rohstoffe, Halbfabrikate und Investitionsgüter. Hinzu kommen die verschiedensten Arten von unternehmensbezogenen Dienstleistungen, wie:

  • Forschungs- und Entwicklungsbereich
  • Planung
  • Transportwesen
  • Montage
  • Personaleinsätze
  • IT-Dienstleistungsbranche

Diese wären ohne die Regelungen der Personenfreizügigkeit keinesfalls auf dem heutigen Niveau möglich.

Wirtschaftlich eng verzahnt

Kaum mehr eine Maschine oder Anlage lässt sich heute ohne Spezialisten des Herstellers in Betrieb nehmen. Und auch während des laufenden Betriebs muss auf die Wartung und auf eventuelle Notfalldienste zurückgegriffen werden können. Grosse zeitliche Verzögerungen aufgrund von komplexen administrativen Genehmigungsverfahren für den grenzüberschreitenden Arbeitseinsatz sind dabei sehr kostspielig. Diese würden von Unternehmen wohl kaum in Zukunft in Kauf genommen werden können.

Diese enge wirtschaftliche Verzahnung wäre ohne den freien Austausch von Produkten, dem Abbau von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen, dem freien Personenverkehr sowie der gegenseitigen Anerkennung von Prüfzertifikaten und Berufsqualifikationen nicht möglich gewesen.

Vor dem Hintergrund der Verschiebung der globalen Handelsströme ist dies als eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Schweiz zu sehen.

Finanzielle Vorteil der Bilateralen I

Den exakten finanziellen Vorteil der Bilateralen I aufzuzeigen, ist allerdings nicht ganz einfach, da:

  • die Auswirkungen der einzelnen Vertragsbestandteile vielfach voneinander abhängig sind
  • sich viele Wachstumseffekte indirekt einstellen

Grundsätzlich gehen Ökonomen des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) davon aus, dass die Öffnung der Märkte von grossem Vorteil sind – und somit der Austausch und die Verflechtung für die beteiligten Volkswirtschaften. Forscher der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich stellen fest, dass seit dem Inkrafttreten der Bilateralen I das Durchschnittswachstum des realen BIP pro Kopf der Schweiz um 0,52 Prozent gestiegen ist. 

Auch das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos aus Basel schätzt anhand eines Simulationsmodells, dass rund ein Drittel des gegenwärtigen Wohlstands der Schweiz auf die dynamische Entwicklung des wirtschaftlichen Austausches mit der EU zurückzuführen ist. Zudem wurden seit dem Inkrafttreten der Abkommen 700.000 Arbeitsstellen geschaffen. Die Forscher von Prognos sind von einem direktem Zusammenhang mit den Bilateralen Verträgen I überzeugt.

Dossier «Europapolitik» des Wirtschaftsdachverbandes economiesuisse

Eine genaue Übersicht über die Vorteile der Bilateralen I hat der Wirtschaftsdachverband economiesuisse in seinem Dossier «Europapolitik» herausgearbeitet:

  • Industrieunternehmen sparen 200 bis 500 Millionen Franken jährlich, weil sie ihre Produkte nur einmal zertifizieren lassen müssen. (Technische Handelshemmnisse)
  • Schweizer Unternehmen habe noch bessere Chancen, an öffentliche Aufträge in den EU-Staaten zu gelangen – diese schreiben Projekte in Höhe von 425 Milliarden Euro pro Jahr aus. (Beschaffungswesen) 
  • Bauernfamilien haben die Möglichkeit, zusätzliche Einkommen zu erwirtschaften. (Landwirtschaft)
  • EU- und EFTA-Chauffeure finanzieren einen Viertel der Verkehrsabgaben (LSVA) – das hat zwischen 2002 und 2012 einem Betrag von über vier Milliarden Franken entsprochen. (Landverkehr)
  • Schweizer Fluggesellschaften werden auf dem europäischen Luftverkehrsmarkt nicht benachteiligt, die Schweiz profitiert als Exportnation von guten Flugverbindungen. (Luftverkehr)
  • Die Integration der Schweizer Forschenden und Unternehmen in EU-Forschungsrahmenprogramme erhöht die Leistungsfähigkeit unseres Forschungsplatzes und stärkt die Innovationskraft der Wirtschaft. Jedes vierte Projekt von Schweizer Forschenden wird vom EU-Forschungsrat angenommen – das ist ein Spitzenwert. (Forschung) 
  • Die gesamtwirtschaftlichen Effekte der Bilateralen I: Die positiven Effekte auf den Schweizer Wirtschaftsstandort sind markant. Das reale Schweizer BIP pro Kopf ist zwischen 2003 und 2013 durchschnittlich pro Jahr um 1,26 Prozent gewachsen – das ist im Vergleich mit anderen Industrieländern einmalig.

Viele weitere Abkommen bauen auf den Abkommen der Bilateralen I auf. Diese sind mit ihnen direkt oder indirekt verknüpft. So ist das Personenfreizügigkeitsabkommen (FAZ) eine wichtige Voraussetzung für das Studentenaustauschprogramm Erasmus oder für Schengen/Dublin.

Fazit

Ohne Zweifel sind die Bilateralen Abkommen I für die Schweiz ein Erfolgsmodell – welches es auch in Zukunft zu erhalten gilt. Eine wirkliche Alternative, die den Schaden eines Wegfalls dieses Abkommens auffangen würde, ist nicht gegeben.

(Bildquelle: © zoranm/iStockphoto)




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