RIEDEL: Nein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich in seinem Urteil nur mit einigen wenigen Regelungen des aktuell geltenden ErbStG auseinandergesetzt. Jedoch handelt es sich dabei um die zentralen Bestimmungen (§ 13 a, b ErbStG) im Zusammenhang mit der bisher möglichen günstigen Übertragung von Unternehmensvermögen.
Die 9 wichtigsten Fragen und Antworten zum Erbschaftsteuer-Urteil
RIEDEL: Nach derzeitiger Regelung ist betriebliches Vermögen (insbesondere Beteiligungen an Personenhandelsgesellschaften) im Inland oder in der EU/EWR begünstigt – sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, die mehr als 25 Prozent betragen.
Betriebsvermögen kann wahlweise zu 85 oder zu 100 Prozent steuerbefreit übertragen werden, wenn dafür die Voraussetzungen der Behaltensfrist (Beibehaltung der betrieblichen Struktur und der Lohnsummen, Weiterführung der Arbeitsplätze im Betrieb) für fünf Jahre erreicht werden – sowie einer Verwaltungsvermögensquote von 50 Prozent oder weniger. Bei der Option zur 100-prozentigen Verschonung beträgt die Frist sieben Jahre. Dabei darf das Verwaltungsvermögen nicht mehr als zehn Prozent des gemeinen Wertes des Betriebsvermögens ausmachen.
RIEDEL: Das Bundesverfassungsgericht hält die Verschonungsregelungen für Unternehmensvermögen als solche im Grundsatz mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 Grundgesetz für vereinbar. Einige Einzelregelungen der §§ 13 a, b ErbStG sind jedoch verfassungswidrig – und das gravierend. Aus diesem Grund sieht das BVerfG die gesetzlichen Regelungen der §§ 13 a, b ErbStG insgesamt als verfassungswidrig an.
RIEDEL: Nicht verfassungskonform ist, dass die sogenannte Lohnsummenregelung erst ab einer Betriebsgrösse von mehr als 20 Mitarbeitern greift. Das Bundesverfassungsgericht mahnt eine Anwendung der Lohnsummenregelung für alle Betriebe an – unabhängig von ihrer Grösse.
Bezogen auf das sogenannte «Verwaltungsvermögen» (verkürzt: nicht produktives Vermögen wie zum Beispiel Forderungen, Geldbestände, Wertpapiere) ist die bisherige Regelung nach dem BVerfG nicht verfassungskonform. Das BVerfG ist der Auffassung, das zu viele Umgehungs- und Missbrauchsmöglichkeiten bestehen.
RIEDEL: Für grosse Unternehmen mahnt das BVerfG eine sogenannte «Bedürfnisprüfung» an. Das heisst, es müssen besondere sachliche Gründe gegenüber kleineren und mittleren Betrieben vorliegen, damit die unternehmensbezogenen Vergünstigungsregelungen auch bei grösseren Unternehmen zur Anwendung kommen dürfen.
Das BVerfG ist der Auffassung, dass gerade grosse Firmen genug Substanz haben sollen, um eventuelle erbschaftsteuerliche Belastungen verkraften zu können. Abgesehen von dieser problematischen Annahme, konkretisiert das Urteil jedoch nicht, was genau unter der geforderten «Bedürfnisprüfung» zu verstehen ist. Offen bleibt auch, ab welcher Grössenordnung ein «grosses» Unternehmen überhaupt vorliegt. Es gilt, die weitere gesetzgeberische Entwicklung abzuwarten.
RIEDEL: Die erforderliche Neufassung des ErbStG obliegt alleine dem Bundesgesetzgeber. Aus dem Urteil lassen sich einige Leitlinien ableiten – die wichtigste: Der Gesetzgeber darf weiterhin die Übertragung von Unternehmensvermögen erbschaft-steuerlich privilegieren. Die gesetzlichen Voraussetzungen müssen aber klarer gefasst werden und die Schere zu der Übertragung von rein privat genutztem Vermögen darf nicht zu gross sein. Das BVerfG betont ausdrücklich, dass bei Beachtung bestimmter Voraussetzungen auch die derzeitige Systematik des ErbStG verfassungskonform ist und beibehalten werden kann.
RIEDEL: Bundesfinanzminister Schäuble hat sich erleichtert gezeigt. Um die Vorgaben aus dem Karlsruher Urteil umzusetzen, reichen seiner Auffassung nach kleinere Korrekturen an der bisherigen gesetzlichen Regelung aus. An einen grundsätzlichen gesetzlichen Systemwechsel sei nicht gedacht. Zwar wurden keine konkreten Zeitangaben genannt, aber es ist damit zu rechnen, dass im ersten Halbjahr 2015 ein erster Gesetzesentwurf vorliegen wird. Auch die Interessensverbände der Wirtschaft äusserten sich verhalten zufrieden. Es wurde befürchtet, die Bundesverfassungsrichter würden eine rigorosere Annäherung in der Gleichbehandlung des privat genutzten Vermögens und des Unternehmensvermögens verlangen.
Welche Forderungen die SPD als Koalitionspartner an die gesetzliche Neuregelung stellen wird, bleibt offen. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Neuregelung der Zustimmung durch den Bundesrat bedarf. Damit werden Landesregierungen involviert, an denen die Grünen beteiligt sind.
RIEDEL: Die Karlsruher Richter haben dem Gesetzgeber bis zum 30. Juni 2016 Zeit gegeben. Spätestens dann muss der Gesetzgeber die verfassungswidrigen Regelungen geändert haben. Wie schnell er reagiert und ob er die zeitliche Frist voll ausnutzt, ist derzeit noch völlig offen. Bis zur Verabschiedung der gesetzlichen Neuregelung gilt die bisherige Regelung fort – unter Einschluss der verfassungswidrigen Bestimmungen.
Doch Vorsicht: Das BVerfG hat ausdrücklich betont, dass der Gesetzgeber nicht gehindert ist, das ErbStG mit Rückwirkung auf den Tag der Verkündung des BVerfG-Urteils zu ändern – soweit damit Übertragungsvarianten die steuerlichen Vorteile versagt werden, die als «exzessive Ausnutzung» der sich im Rahmen der derzeit noch möglichen Gestaltungsspielräume der §§ 13 a, b ErbStG zu werten sind.
Es bleibt offen, wo das BVerfG die Grenzen zu einer verfassungsrechtlich nicht zulässigen «exzessiven Ausnutzung» zieht und ob der Gesetzgeber diese Rückwirkungsmöglichkeit überhaupt nutzt.
RIEDEL: Unstreitig sind die derzeitigen, nach Massgabe des Bundesverfassungsgerichts zunächst fortgeltenden gesetzlichen Regelungen zur Übertragung von unternehmerisch genutzten Vermögen sehr günstig. Damit sollte das aktuell noch offene Zeitfenster möglichst genutzt werden. Als Unternehmer kann man bei einem zeitnahen Betriebsübergang nur gewinnen und sich zumindest nicht verschlechtern. Derzeit ist noch offen, wie die neuen gesetzlichen Regelungen aussehen werden. Jedoch ist mit einer verschärften Betriebsübergabe zu rechnen. Es passt nicht in das politische Umfeld, Übertragungen von privatem Vermögen zu erleichtern und so die von dem BVerfG angemahnte Ungleichbehandlung beider Vermögensgruppen zu beseitigen.
Auch ist offen, ob und in welchem Umfang von der Rückwirkungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird. Unliebsamen Überraschungen wird durch situationsangepasste Rückabwicklungsklauseln in den Übertragungsverträgen vorbeugt.
Ich empfehle jedem Unternehmer das Urteil des BVerfG zum Anlass für eine eingehende Analyse der eigenen Situation zu nehmen – und zu entscheiden, ob der Generationswechsel im eigenen Unternehmen zeitnah vollzogen werden sollte.
(Bildquelle: © AndreyPopov/iStockphoto)