MÄDER: Die Schweiz hat viele Unternehmen, die einen direkten Beitrag zur globalen Ernährungssicherheit leisten. Ich denke da etwa an Spezialmaschinen für die Landwirtschaft oder an die verarbeitende Lebensmittelindustrie, die sich zunehmend in der vorgelagerten Wertschöpfungskette engagiert. Syngenta ist ein Schweizer Unternehmen, das in der Schweiz nicht nur den Hauptsitz hat, sondern auch forscht und den konzern-intern grössten Produktionsstandort betreibt. Der Fokus ist aber global.
Globale Ernährungssicherheit als Herausforderung
MÄDER: Mehr als das. Unsere über 28.000 Mitarbeitenden unterstützen sowohl landwirtschaftliche Grossbetriebe als auch Kleinbauern in 140 Ländern bei ihrer Aufgabe, Nahrungsmittel zu produzieren und gleichzeitig Ackerland und natürliche Ressourcen optimal zu nutzen.
Die Frage, welchen Beitrag unser Unternehmen an eine nachhaltige Produktion von genügend Nahrung für eine wachsende Weltbevölkerung leisten kann, beschäftigt uns daher schon länger. Im «Plan für verantwortungsvolles Wachstum», dem Good Growth Plan, haben wir unsere langjährigen Erfahrungen und Initiativen in unser Geschäftsmodell integriert und uns sechs ambitionierte und messbare Ziele bis 2020 gegeben, deren Erreichung auch Dritte bewerten werden. Die Förderung der Pflanzen- und Ressourceneffizienz, der Erhalt von Ackerflächen und die Stärkung ländlicher Gemeinschaften stehen im Vordergrund.
MÄDER: Die FAO (Food and Agriculture Organization of the United States) spricht von einer notwendigen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität um 70 Prozent bis 2050. Gleichzeitig verlieren wir durch Bodenerosion und Verstädterung pro Sekunde Ackerland von der Grösse eines Fussballfeldes.
Die Arbeit in der Landwirtschaft ist hart: Einen Hektar Ackerland manuell von Unkraut zu befreien bedeutet 200 Stunden Knochenarbeit. Dabei stehen durch Landflucht in den ländlichen Gebieten immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung: Pro Tag verlassen 180.000 Menschen ihre Dörfer Richtung Stadt auf der Suche nach einem besseren Leben. Dies ist nicht erstaunlich, denn von den 870 Millionen Menschen, die jeden Abend hungrig zu Bett gehen, sind 70 Prozent von der Landwirtschaft abhängig. Sie haben jedoch nicht das Wissen oder die Geräte, um wenigstens für sich selbst und ihre Familien genügend Nahrung zu erzeugen.
MÄDER: Das Gebot der künftigen Jahre heisst «grow more from less»: Wir müssen mehr Nahrungsmittel erzeugen, ohne mehr Ackerland, Wasser, Dünger und Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Bei Syngenta arbeiten 5.000 Mitarbeitende in Forschung und Entwicklung daran, Nutzpflanzen effizienter und stressresistenter zu machen. Eine höhere Produktivität alleine reicht aber nicht aus.
MÄDER: Nebst der Schulung von Kleinbauern soll unser Programm «Multifunktionale Landschaften», das wir seit über 10 Jahren in diversen Ländern umsetzen, weltweit ausgeweitet werden. Dabei unterstützt Syngenta Landwirte beim Anlegen von Feldrandstreifen mit hoher biologischer Artenvielfalt. Biodiversitätsschutz und intensive landwirtschaftliche Anbaumethoden werden so sinnvoll kombiniert: Kleintiere und Bestäubungsinsekten erhalten einen geeigneten Lebensraum mit einem ganzjährigen Nahrungsangebot und garantieren den Landwirten etwa eine optimierte Bestäubung ihrer benachbarten Kulturen. Feldrandstreifen verbessern die Bodenqualität, verhindern Bodenerosion, wirken als Sperren gegen die Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen und dienen dem Gewässerschutz.
Die europäische Agrarpolitik versucht mit dem so genannten «Greening», diesem Grundgedanken Rechnung zu tragen. Es kommt nun darauf an, den Landwirten durch praxisnahe Rahmenbedingungen den nötigen Freiraum zu gewähren, damit die Umsetzung gelingt und auch wirklich mehr Biodiversität resultiert.
MÄDER: Landwirtschaft verfolgt den Zweck der Produktion von Lebens- und Futtermitteln sowie von pflanzlichen Fasern, die für den Menschen unverzichtbar sind. Jede Art von Landwirtschaft benötigt Hilfsmittel, die mit der notwendigen Sorgfalt einzusetzen sind.
Ohne Pflanzenschutz würde der weltweite Ertrag in der Landwirtschaft gemäss FAO um bis zu 40 Prozent geringer ausfallen. Multifunktional Landschaften heisst, im Spannungsfeld zwischen Produktivitätssteigerung und Ressourcenschutz eine nachhaltige Balance zu finden. Landwirte bewegen sich tagtäglich in diesem Spannungsfeld: Die begrenzten natürlichen Ressourcen verantwortungsvoll zu nutzen und den bestmöglichen Ertrag aus jeder Pflanze und Ackerfläche zu erzielen – beides ist wichtig, damit die Ernährungssicherheit langfristig gewahrt wird.
MÄDER: Es braucht trotz aller widersprüchlichen gesellschaftlichen Ansichten zum Thema Landwirtschaft und Ernährung eine pragmatische Diskussion und eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Herausforderung «Globale Ernährungssicherheit», gerade auch auf unserem Kontinent. Auch ein kleines Land wie die Schweiz muss seine Landwirtschaftsflächen erhalten und den Ertrag optimieren, um seinen Beitrag zu einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion zu leisten – auch wenn wir derzeit vieles von dem, was wir in Europa konsumieren, importieren.
Nach einer Studie der Berliner Humboldt-Universität summieren sich die Importe bereits heute zu einem virtuellen Landverbrauch ausserhalb der EU von 35 Millionen Hektar auf. Ein breiteres Wissen und ein öffentlicher Konsens über die Herausforderung «Globale Ernährungssicherheit» ist deshalb die Basis für eine vorurteilsfreie Zusammenarbeit aller Akteure. Die braucht es – und es braucht sie rasch.
(Bildquelle: Courtesy of Syngenta; Bildtitel: Barley farmer)