Industrialisierung, Deindustrialisierung, Reindustrialisierung – Teil 2
21. Jan 2015, Wirtschaft | Schweizer Wirtschaft

Industrialisierung, Deindustrialisierung, Reindustrialisierung – Teil 2

In der Schweiz sind nur jene Branchen von der Reindustrialisierung betroffen, die ihre Produktivität und Wertschöpfung steigern können – in anderen setzt sich die Deindustrialisierung fort.

Innovation als das A und O

Eine Reindustrialisierung findet nur in jenen Branchen statt, die ihre Produktivität und Wertschöpfung steigern können. Dazu zählen die Industriezweige Pharma und Spezialitäten-Chemie, Medizinaltechnik, Präzisionsinstrumente, Uhren, Haushaltgeräte, Elektronik, Energie, Schienenfahrzeuge und bestimmte Segmente der Lebensmittelindustrie – wie etwa Kaffee oder Luxus-Genussmittel.

In den arbeitsintensiven Branchen setzt sich dagegen die Deindustrialisierung ungebrochen fort – zum Beispiel in der Textil- und Bekleidungsindustrie, der Möbelindustrie, der Papier- und Druckindustrie sowie der Metall- und Kunststoffbearbeitung. Dazu gehört auch die Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer, vor allem in Asien und Osteuropa. Einzige Ausnahmen in diesen Segmenten bilden sehr innovative, auf einzigartige Qualitätsprodukte spezialisierte Firmen.

Gesteigerte Produktivität und Wertschöpfung beruht auf der enormen Innovationskraft der Unternehmen aus den genannten Branchen. Diese manifestiert sich nach den Erfahrungen der Helbling-Unternehmensgruppe besonders auf zwei Arten:

  1. Qualitätsprodukte mit hohen Margen 
  2. Automatisierung der Produktion zur Sicherstellung geringer Kosten
Innovationskraft als Erfolgsrezept

Einigen Unternehmen ist es sogar gelungen, mit innovativen Produkten und Geschäftsmodellen völlig neue Marktsegmente zu begründen. Das Paradebeispiel hierzu ist die grösste Erfolgsgeschichte der letzten fünfzig Jahre in der Schweiz: die Nestlé-Tochter Nespresso. Mit dem Kapsel-System und der Qualität des Kaffees hat sie seit 2000 den Umsatz auf über vier Milliarden Franken erhöht – bei überdurchschnittlicher Profitabilität.

Die Innovationskraft der Industrie trägt wesentlich dazu bei, dass die Schweiz auf dem Global-Innovation-Index den ersten Platz einnimmt. Entscheidend sind dabei die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E). Kein anderes Land investiert pro Kopf mehr in F&E und damit in Innovationen als die Schweiz.

Mit Roche und Novartis sind gleich zwei Schweizer Firmen unter den Top-3-Unternehmen mit den weltweit höchsten Investitionen in diesem Bereich. Aber auch private Mittelstandsunternehmen stecken überdurchschnittlich viel Geld in die Forschung.

Etwas anders sieht es bei vielen Schweizer KMU aus. Diese liegen bezüglich F&E-Ausgaben nur im Mittelfeld. Um in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, werden auch sie nicht umhinkommen, mehr Forschung und Entwicklung zu betreiben und in Innovationen zu investieren.

Nahe an der Quelle

Die F&E-Intensität in der Schweiz ist einer der Hauptgründe, warum Industrieunternehmen hierzulande in die Produktion investieren. Denn die Nähe zur Forschung und Entwicklung bietet den Firmen strategische Vorteile:

  • Innovationen können rascher und mit geringeren Schnittstellen-Kosten umgesetzt werden – Innovationsvorsprung lässt sich leichter erhalten und ausbauen
  • dank der Nähe zu Forschung und Entwicklung sind firmenspezifische Kompetenzen für eine hocheffiziente Produktion in der Schweiz verfügbar

Ein zweiter Grund für die Attraktivität der Schweiz als Produktionsstandort sind die international führenden Wissens-, Forschungs- und Bildungsinstitutionen – vor allem die renommierten Flaggschiffe ETH, EPFL, IMD sowie die Universität St. Gallen. Sie eröffnen den Zugang zu neustem Know-how und ermöglichen die Rekrutierung von exzellenten Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Ökonomen. Zusammen mit den Fachleuten aus dem dualen Bildungssystem bilden sie eine äusserst qualifizierte Mitarbeiterbasis. Diese umfasst alle Hierarchiestufen eines Unternehmens – von den Fachkräften bis zu den Managern. Dazu kommen die vielen hochqualifizierten ausländischen Arbeitskräfte, die wegen der hohen Lebensqualität und der guten Arbeitsbedingungen in die Schweiz kommen. Ihre Bedeutung wird angesichts des Fachkräftemangels in Zukunft eher noch zunehmen.

Bescheidene Kapitalkosten

Produzierende Industriefirmen in der Schweiz sind eingebettet in Netzwerke, in denen sich Forschungszentren, Hochschulen, Kundenorganisationen, Branchenverbände sowie Innovations- und Technologiepartner und Lieferanten gegenseitig befruchten. Das betrifft namentlich die Verfügbarkeit von spezialisierten Zulieferern (zum Beispiel in der Mikrotechnik), die flexibel und in hoher Qualität liefern können.

Die Netzwerke erleichtern aber auch den Zugang zu Kompetenzen in Produktionstechnologien wie der Automation. Gerade bei Investitionen in Produktionswerke, die oft zwischen 0,75 Millionen und 1,5 Millionen Franken pro Arbeitsplatz betragen, erweist sich die Schweiz noch aus einem anderen Grund als geeigneter Standort.

Die Kapitalkosten sind im internationalen Vergleich sehr gering. Zusammen mit einer äusserst effizienten Produktion bei hohen Stückzahlen und hohem Produktionsvolumen führt dieser Kostenvorteil zu einer zunehmenden Produktivität (gemessen am Output und an der Wertschöpfung pro Mitarbeitenden) und damit zu tiefen Personalkosten im Herstellprozess. Die Produktion läuft meistens in drei bis fünf Schichten rund um die Uhr. Das heisst, es werden 6.000 bis 8.500 Maschinen-Stunden beziehungsweise Anlagen-Stunden pro Jahr erreicht. Ebenfalls erfolgreich produzieren in der Schweiz Unternehmen mit Hightech-Endmontage und Qualitätsprüfung.

Anspruchsvolle Kundschaft

Die Schweiz verfügt über Absatzmärkte, die global zu den am weitesten entwickelten zählen. Das gilt sowohl für Konsumgüter als auch für Gebrauchs- und Investitionsgüter. Die hiesige Kundschaft stellt höchste Ansprüche an die Qualität der Produkte. Darin liegt ein weiterer Vorteil für in der Schweiz produzierende Unternehme: sie finden hier nicht nur Schlüsselkunden vor, sondern auch einen Testmarkt für qualitativ hochstehende und massgeschneiderte Produkte.

Aus der Nähe zu den Abnehmern und der deshalb leichter zu praktizierenden Kundenorientierung ergeben sich auch Vorteile in der Logistik. Diese können für die Belieferung des Hauptmarktes Europa ausgeschöpft werden. Dazu zählen:

  • flexible Anpassung des Angebots bezüglich Variantenvielfalt
  • hohe Lieferbereitschaft
  • kurze Lieferzeiten
  • geringe Vorratshaltung
Fazit

All diese Vorteile der Industrieproduktion in der Schweiz sind eingebettet in die traditionellen Stärken des Landes. Sie reichen von einer attraktiven Steuerbelastung und einer relativ massvollen Regulierungsdichte über eine funktionierende Infrastruktur und ein hervorragendes Bildungssystem bis hin zu hoher Rechtssicherheit und politischer Stabilität. Dazu kommen die zentrale Lage der Schweiz und gute Verkehrsanbindungen, ihre mehrsprachige und internationale Kultur, ein flexibler Arbeitsmarkt, ein hohes Arbeitsethos, eine stabile Währung sowie sehr niedrige Zoll- und Handelsbarrieren.

Damit sind schliesslich auch die Rahmenbedingungen angesprochen, zu denen es Sorge zu tragen gilt – soll die Erfolgsgeschichte der Schweizer Reindustrialisierung eine Fortsetzung erfahren.

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Lesen Sie auch Teil 1 der Artikelreihe: Industrialisierung, Deindustrialisierung, Reindustrialisierung: >>zum Artikel

(Bildquelle: © vasabii/iStockphoto)




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