In der Schweiz kann ein Arbeitsverhältnis ohne Vorliegen eines bestimmten Grundes beendet werden. Als Ausgleich zu diesem liberalen Kündigungsregime qualifiziert das Gesetz bestimmte Beendigungsgründe als «missbräuchlich». Diese Gründe stimmen in einem Punkt überein: Die Ausübung des Kündigungsrechts wird als ungerecht empfunden.
Das Schweizer Bundesgericht etablierte vor einigen Jahren eine erhöhte Fürsorgepflicht bei der Entlassung älterer Mitarbeiter. Gemäss dieser Rechtsprechung kann eine solche Kündigung per se missbräuchlich sein. In einem kürzlich ergangenen Entscheid hat das Bundesgericht nun den Kündigungsschutz solcher Mitarbeiter weiter verstärkt und konkretisiert. Für den Arbeitgeber ist dieser Entscheid mit zusätzlichen Pflichten verbunden.
Rechtsfolgen für Arbeitgeber bei einer missbräuchlichen Kündigung
Auch eine missbräuchlich ausgesprochene Kündigung ist rechtswirksam und beendet das Arbeitsverhältnis. Als Rechtsfolge sieht das Gesetz eine Entschädigungspflicht in Form einer Strafzahlung vor. Diese beträgt maximal sechs Monatslöhne. Der Richter legt die Höhe der Strafzahlung im Einzelfall fest. Möchte der Gekündigte die Strafzahlung geltend machen, sind folgende Schritte notwendig:
- Einspruch gegen die Kündigung innerhalb der Kündigungsfrist
- Forderung einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
Der Einspruch soll eine gütliche Einigung bezwecken – bis hin zur Weiterführung des Arbeitsverhältnisses. In der Praxis kommt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedoch so gut wie nie vor.
Recht auf Begründung
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmenden den Grund der Kündigung mitzuteilen. Tut er es nicht, bleibt der Arbeitnehmende über die Gründe zunächst im Dunkeln. Jedoch kann dieser eine schriftliche Begründung der Kündigung verlangen. Damit soll der Arbeitnehmende erfahren können, ob die Kündigung missbräuchlich ausgesprochen wurde.
Das Recht auf schriftliche Begründung ist ein wirksames Mittel des Arbeitnehmenden, den Arbeitgeber zu einer klaren Begründung zu zwingen. Das Begründungsbegehren ist denn auch oft der Auftakt für eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung. Die Begründung bedarf daher einer sorgfältigen Formulierung.
Die Entlassung langjähriger, älterer Arbeitnehmenden
Entscheid I
Im Jahr 2006 hat das Bundesgericht die Kündigung eines Arbeitnehmers mit 44 Dienstjahren und rund ein Jahr vor der Pensionierung als missbräuchlich beurteilt. Dabei berücksichtigte das Gericht die Tatsache, dass der dieser seine Arbeit stets «klaglos» erbracht und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht vorher angehört hatte. Das Bundesgericht sprach die maximale Entschädigung von sechs Monatslöhnen zu. Dem Grundsatzentscheid folgten weitere Entscheide.
Diese Praxis verfolgt offensichtlich sozialpolitische Ziele:
- Zunächst sind die Schwierigkeiten der über 50-jährigen Stellensuchenden allgemein bekannt.
- Zudem soll der Austausch älterer und somit teurerer Arbeitnehmer durch jüngere und günstigere Kandidaten erschwert werden.
Entscheid II
Im einem weiteren Entscheid wurde nicht nur die Kündigung eines 59-jährigen Arbeitnehmers mit elf Dienstjahren (insgesamt 35 Dienstjahre mit Unterbrechung) als missbräuchlich qualifiziert, sondern das Bundesgericht nennt nun auch spezielle Handlungspflichten des Arbeitgebers.
Im konkreten Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der ein Burnout erlitten hatte. Nach Wiederaufnahme der Tätigkeit wurden Defizite in der Qualität der Arbeit festgestellt. Der Arbeitgeber leitete diverse Massnahmen zur Behebung dieser Defizite ein. Nachdem die Massnahmen während drei Jahren die gewünschte Besserung nicht bewirkten, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis. Das Bundesgericht befand, dass das fortgeschrittene Alter des Arbeitnehmers die Anforderungen an die Fürsorgepflicht erhöht habe. Wohl habe der Arbeitgeber zahlreiche Massnahmen getroffen.
Jedoch wurde wohl nie klar signalisiert, dass die gerügten Mängel bei Nichtbehebung eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach sich zögen. Der Arbeitgeber hätte also vor der Kündigung (erneut) das Gespräch suchen, dem Arbeitnehmer eine «letzte Chance» zur Verbesserung einräumen und auf die drohende Kündigung hinweisen müssen.
Das Gericht sprach dem Arbeitnehmer eine Strafzahlung von zwei Monatslöhnen zu. Damit wurde das Verschulden des Arbeitgebers als eher tief eingestuft. Vermutungsweise honorierte das Gericht die zahlreichen – vom Arbeitgeber vor der Kündigung zur Verbesserung der Situation – ergriffenen Massnahmen.
Auswirkungen der neuen Rechtsprechung
- Für ältere Arbeitnehmende: Haben nun wohl einen Anspruch darauf, rechtzeitig über die beabsichtigte Kündigung informiert und angehört zu werden.
- Für Arbeitgeber: Ist verpflichtet, nach Lösungen zur Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses zu suchen.
Immerhin hielt das Bundesgericht fest, dass es keine «generelle Verpflichtung von Arbeitgebenden gäbe, in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen vor einer Kündigung stets eine Verwarnung aussprechen zu müssen – beziehungsweise mildere Massnahmen zu prüfen».
Das Bundesgericht statuiert somit:
- ein Informationsrecht
- ein Anhörungsrecht
- die Pflicht des Arbeitgebers zur alternativen Lösungssuche
Dabei ist darauf hinzuweisen, dass eine Vorankündigung der Kündigung stets das Risiko in sich birgt, dass sich ein Arbeitnehmer «krankschreiben lässt». Aufgrund des Dienstalters geniessen die betroffenen Arbeitnehmenden oft den maximalen Sperrfristschutz von 180 Tagen.
Für welche Arbeitnehmende gilt die neue Rechtsprechung?
Auch wenn die neue Rechtsprechung sozialpolitisch sinnvolle Ziele verfolgen mag, wirft sie Fragen auf und schafft neue Rechtsunsicherheit. Die grösste Unsicherheit bezieht sich darauf, ab welchem Alter Arbeitnehmende vom Schutz dieser Rechtsprechung profitieren sollen. Das Bundesgericht hat den Schutz auf 59-jährige ausgedehnt.
Der Begriff des «älteren Arbeitnehmenden» ist aber nicht gesetzlich definiert. Die von der Literatur vorgeschlagene Grenze von 55 Jahren könnte sich als angemessen erweisen.
Rechtfertigungsgründe?
Gemäss dem Gesetz ist eine Kündigung wegen persönlichen Eigenschaften zulässig – insofern diese im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen oder die Zusammenarbeit im Betrieb wesentlich beeinträchtigen. Das bedeutet, dass eine Kündigung infolge einer altersbedingten Leistungseinbusse grundsätzlich zulässig ist. Die Kündigung ist dann nicht durch das Alter (alleine) begründet, sondern auch durch die Leistungseinbusse. Die Grenzziehung zwischen Alter und altersbedingter Leistungseinbusse kann schwierig sein. Eine Leistungseinbusse muss in jedem Fall objektiv und wesentlich sein. Gemäss der genannten Gerichtspraxis wäre dem Arbeitnehmenden eine letzte Chance einzuräumen.
Empfehlungen an die Arbeitgeber
Bei der Entlassung von Arbeitnehmenden ab 55 Jahren ist folgendes zu beachten:
- Der Arbeitnehmenden sollte über die beabsichtigte Kündigung informiert und angehört werden.
- Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten sind zu prüfen.
- Bei einer Kündigung infolge von Leistungsdefiziten sollten diese objektiv und dokumentiert sein.
- Dem Arbeitnehmenden sollte eine Frist zur Verbesserung eingeräumt werden, unter Hinweis auf die Kündigung.
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